Märchenfilme: Zwischen zeitloser Faszination und aktuellen Herausforderungen
Die Welt der Märchen und Sagen erlebt in der heutigen Zeit durch ihre Verfilmung eine bemerkenswerte Renaissance. Wie ein zeitloser Zauber ziehen sie Kinder und Erwachsene gleichermaßen in ihren Bann. So tragen sie dazu bei, dass immer neue Kindergenerationen die alten Geschichten von vor 100 Jahren kennenlernen.
Warum gerade Märchen für Kinder von zentraler Bedeutung sind, erfahren Sie in unserem Beitrag Warum Kinder Märchen brauchen vom Mai 2023.
Dieser Beitrag zur Trendforschung konzentriert sich auf die Anpassung von Märchengeschichten für das Medium Film. Es wird untersucht, warum Märchen oft als ideale Vorlage für Filmadaptionen dienen und welche Herausforderungen Filmschaffende bei der Umsetzung von Märchenmedien bewältigen müssen. Des Weiteren wird betrachtet, wie Kinder auf diese Filme reagieren, während wichtige Auswahlkriterien für Eltern hinsichtlich passender Märchenfilme für ihre Kinder aufgezeigt werden.
Warum werden Märchengeschichten so häufig als Vorlage für Filme genutzt?
Der Reiz von Märchengeschichten als Grundlage für Filme liegt in ihrer Anziehungskraft und Struktur. Sie folgen oft der Heldenreise, die die Protagonist*innen durch Veränderung und Selbstfindung führen. Diese Handlungsstruktur, einschließlich des Abschieds von der vertrauten Welt, dem Überwinden von Hindernissen und der Rückkehr als veränderter Charakter, spricht ein breites Publikum emotional an. Filme nutzen die visuelle Natur, um die Entwicklung der Held*innen eindrucksvoll darzustellen und die Zuschauer*innen emotional einzubinden (Alvarez, 2023) .
Märchenhafte Elemente, wie sprechende Tiere oder Fabelwesen, faszinieren Kinder und bieten eine fantasievolle Welt. Die klassischen Märchenfilme transportieren traditionelle Wertvorstellungen und basieren auf moralischen Erzählungen. Zeitlich sind Märchenfilme oft an ein imaginäres Mittelalter angelehnt (Stiglegger, 2017, 8). Der stets positive Ausgang, in dem das Gute triumphiert, sowie die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, vermitteln Kindern Orientierung, klare Botschaften und unterstützen sie bei der Bewältigung von Emotionen und Ängsten (Weber, 2019).
Insgesamt machen diese Elemente, besonders die Heldenreise und die vielfältigen Themen der Märchen, sie zu attraktiven Vorlagen für Filme. Durch ihre breite Palette an visuellen Möglichkeiten und emotionalen Anknüpfungspunkten sprechen sie das Publikum an und fesseln es.
Sind Märchenvorlagen überhaupt filmtauglich?
In den Märchen der Gebrüder Grimm stellen düstere Inhalte ein wesentliches Kernelement dar, wobei vor allem bei Märchenfilmen für Kinder grausame Inhalte reduziert und deutlich verharmlost werden (Götz/Innermann, 2016, 27). Erstmals mit Walt Disneys 1937 erschienenen Film Schneewittchen und die sieben Zwerge wurde ein Märchenfilm gezielt für das Zielpublikum Kinder produziert und damit bewiesen, dass auch klassische Märchenfilme in den Kinos erfolgreich sind (Stiglegger, 2017, 3).
Auf Märchen basierende Filme erleben jedoch seit Jahren eine große Beliebtheit in verschiedenen Darstellungsformen und sprechen nicht mehr alleine nur Kinder an, sondern sind auch an Erwachsene adressiert. Märchenverfilmungen weißen damit oft auch Parodien familienfreundlicher Märchenadaptionen auf, wie zum Beispiel in Shrek – Der tollkühne Held von 2001 (Stemmann, 2017, 347) oder in der Schneewittchen-Parodie 7 Zwerge – Männer allein im Wald aus dem Jahr 2004 (Wiedemann, 2017, 215). Bei Märchenverfilmungen ist zudem die Entwicklung zu beobachten, dass Märchenstoffe im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten zunehmend auch im Kino vorzufinden sind (Stiglegger, 2017, 7). Dies zeigt jedoch, dass die Kategorie Märchenfilm im Grunde weit gefächert ist.
Märchenverfilmungen bedienen sich an den typischen Märchenelementen, woraus ganz eigene Filminterpretation entstehen. Da die Grundstruktur von Märchen auf der Verwendung übernatürlicher und phantastischer Elemente basiert, sind Märchenadaptionen vielfältig für verschiedene Spielfilmgenre einsetzbar und lassen sich in die Kategorien Fantasy, Science-Fiction und Horror unterteilen (Stiglegger, 2017, 3).
Auch in den Star Wars-Filmen von 1976 lassen sich somit im Science-Fiction-Genre Märchenelemente wie Prinzessinnen und Jedi-Ritter wiederfinden (Stiglegger, 2017, 5). Im Vergleich dazu zählt die Herr der Ringe Trilogie von 2001 bis 2003 zu den Fantasygenres mit heroischen Geschichten, die mit märchenhaften Elementen gestaltet sind (Stiglegger, 2017, 5). In Das letzte Einhorn als Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1982 verwischen die Grenzen zwischen Märchenadaption und Fantasyfilm ganz (Stiglegger, 2017, 6).
Inzwischen lassen sich verschiedene aktuelle Tendenzen bei der Verfilmung von Märchen feststellen: Bei Märchenfilmen als Blockbuster fallen vor allem die Neuinterpretation von Disney-Zeichentrickfilmen auf. Bei diesen wird davon ausgegangen, dass den Familien die ursprüngliche Märchenvorlage bekannt ist, um das Filmpublikum mit neuen Perspektiven zu überraschen. In Märchenfilmen als Horrorfilme werden insbesondere die unheimlichen Elemente aus den traditionellen Märchen hervorgehoben. Bei Märchenfilmen als Melodram steht eher die tragische Liebesgeschichte im Vordergrund wie zum Beispiel in der von 2008 bis 2012 erschienenen Twilight-Saga (Stiglegger, 2017, 7-9).
Wie beliebt sind Märchen noch?
Zu den bekanntesten und beliebtesten Märchen bei Kindern zählen bis heute die Märchen der Gebrüder Grimm. Bei einer Umfrage von 2015 wurden diese sowohl bei den Märchen, die die Kinder kennen, als auch bei den Verfilmungen, die ihnen gefallen, mit Abstand am häufigsten genannt – erst an 15. Stelle folgte Die Eiskönigin, das 2013 als Disney-Animationsfilm in die Kinos kam (Götz, 2016, 66-67).
Relevant sind Märchen dabei vor allem für Kinder im Grundschulalter, die deutlich mehr Märchen nennen konnten und eher ein Lieblingsmärchen hatten als die Drei- bis Fünfjährigen sowie die 12- bis 13-Jährigen. Zudem zeigten die Antworten der Kinder, dass Märchen für Mädchen eine deutlich höhere Relevanz haben als für Jungen (Götz, 2016, 66-67).
Dass Märchen nach wie vor beliebt sind, zeigt sich auch in der deutschen und internationalen Filmwelt. So veröffentlichte etwa Disney in den vergangenen Jahren mehrere neue Märchenfilme, insbesondere Realverfilmungen der bekannten Zeichentrick-Klassiker wie Arielle, die Meerjungfrau oder Die Schöne und das Biest. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender verfilmen regelmäßig bekannte und eher unbekannte Märchen neu, etwa im Rahmen der ARD-Reihe Sechs auf einen Streich (fernsehserien.de, o.D.). Nicht zuletzt zeigt die vielfache jährliche Ausstrahlung des Klassikers Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, dass Märchenfilme nach wie vor gerne gesehen werden – nicht nur von Kindern.
Worin liegen die Herausforderungen bei der Verfilmung von Märchen für Kinder?
Die Qualität von Märchenfilmen für Kinder hängt von der Detailentscheidung des zeitgemäßen Erzählens und der Inszenierung ab. Inhaltlich stellen vor allem bedrohliche Szenen Herausforderungen bei der Verfilmung dar. In Märchenverfilmungen ist deshalb der achtsame Umgang mit szenischen Bildern wichtig, damit sich Kinder nicht ängstigen (Götz/Innermann, 2016, 28).
Dennoch ist es relevant Kindern die Möglichkeit zu bieten, “sich mit diesen Gefühlen [der Angst] auseinanderzusetzen und ihre eigene emotionale Kompetenz zu erweitern, allerdings ohne sie emotional zu überfordern“ (Götz/Innermann, 2016, 27). In der ARD-Verfilmung von Rotkäppchen wurde der Wolf deshalb bewusst offensichtlich als Mensch im Wolfskostüm dargestellt, um die Angst der Kinder vor der Figur zu mildern (Götz/Innermann, 2016, 27).
Eine Schwierigkeit bei der Verfilmung von Märchen besteht auch darin, traditionelle Märchen in die heutige Zeit zu transportieren und die Attraktivität von Märchen für Kinder durch Verfilmungen zu erhöhen (Götz/Innermann, 2016, 26). Märchenfilme sind jedoch in ihrer “Darstellung des Wunderbaren und Übernatürlichen“ gestalterisch den Buchvorlagen durch Tricktechniken überlegen (Maiwald, 2017, 386). Deshalb wird bei modernen Märchenfilmen besonders viel Wert auf die visuelle Gestaltung gelegt (Stiglegger, 2017, 3-4).
Grundsätzlich wird die Aktualität von Märchenverfilmungen dadurch erhalten, dass die Symbolik und die Kernbotschaft der Märchen immer wieder neu interpretiert wird, um die ,,tiefe[n] Aussagen für das gegenwärtige gesellschaftliche Leben herauszuarbeiten“ (Götz/Innermann, 2016, 26). Deshalb wird zum Beispiel die Figur Rotkäppchen in heutigen Verfilmungen häufig selbstbewusst inszeniert, um Kindern Stärke zu vermitteln (Götz/Innermann, 2016, 27).
Da in klassischen Märchen reale Lebensschwierigkeiten als Parallelen zur Gegenwart vorhanden sind, nutzen Märchenadaptionen dies als Grundlage bei der Verfilmung. Dadurch wird auch in Märchenfilmen auf aktuelle Themen hingewiesen. So sind Themen wie das Erwachsenwerden, Abschied, Trauer und Todeserfahrung auch in heutigen Märchenverfilmungen zu finden (Stiglegger, 2017, 7).
Worauf sollten Eltern achten?
Aus pädagogischer Sicht werden Märchen mittlerweile nicht nur positiv betrachtet: Gewalt und Grausamkeit spielen in vielen Geschichten eine erhebliche Rolle, Märchenfiguren sind meist eindimensionale Stereotypen und die Wertebasis ist oft veraltet. Andererseits können Märchen eine Gelegenheit bieten, sich mit verschiedenen Themen auseinanderzusetzen. Zudem gefällt einigen Kindern gerade das Gruselige, das manche Märchen ihnen bieten können (Götz/Holler, 2016, 62).
Auch der erzieherische Effekt, den viele Märchen erzielen wollen, entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Die Geschichten sollen von bestimmtem Verhalten abschrecken und erreichen dieses Ziel, indem sie Angst erzeugen und das unerwünschte Verhalten hart bestrafen. Diese Art der schwarzen Pädagogik gilt heute als veraltet (Geister, 2014, 8).
Nach Meinung des Märchenpädagogen Oliver Geister können jedoch auch die Grausamkeiten in Märchen wichtig für Kinder sein, da diese sich so damit auseinandersetzen können. Dies ist letztendlich notwendig, da auch das echte Leben Grausamkeiten bereithält. Im Märchen sind diese Szenen für gewöhnlich auch nicht detailliert beschrieben, so dass die Situationen für die Kinder weniger schockierend sind. Bei Märchenfilmen ist es entsprechend wichtig, dass durch den Wechsel vom geschriebenen oder erzählten Märchen auf ein visuelleres Medium nicht zu viele Details zu den für Kinder angsteinflößenden Szenen hinzugefügt werden (Geister, 2014, 8-9).
Letztendlich muss die Auswahl des Märchens – ob in Film- oder Textform – aber auch immer zum Kind passen. Die Ratgeberautorin Nora Irmlau empfiehlt Märchen eher für Kinder ab dem Grundschulalter, da diese die Hintergründe besser erfassen und einordnen können. Je nach Kind können sie aber auch für jüngere Kinder geeignet sein. Wichtig ist dabei, dass die Kinder von den Eltern oder Vertrauenspersonen adäquat aufgefangen werden, wenn sie sich ängstigen. Geschieht dies nicht, können die Märchen auch schaden (Sauvageot, 2022).
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten: Märchen eignen sich aufgrund ihrer eingängigen Heldenreise-Struktur ideal für die Verfilmung und sprechen damit ein breites Publikum an. Abgesehen von den klassischen Märchenfilmen für Kinder sind typische Märchenelemente auch in verschiedenen Filmgenres enthalten.
Märchen zeitgemäß und kindgerecht darzustellen und gleichzeitig ihren ursprünglichen Charme zu bewahren, stellt die Filmschaffenden jedoch vor Herausforderungen. Vor dem Hintergrund der oft nicht mehr zeitgemäßen Erziehungsmethoden und grausamen Darstellungen in Märchen haben vor allem Eltern eine große Verantwortung bei der Sensibilisierung ihrer Kinder für altersgerechte Inhalte. Die emotionale Unterstützung der Eltern bei der Verarbeitung der belastenden Inhalte ist dabei essentiell, um die Kinder von heute und morgen an der emotionalen Tiefe und den zeitlosen Botschaften der Märchengeschichten teilhaben zu lassen, ohne sie negativ zu beeinflussen.
Quellen und weiterführende Informationen
ardalpha.de (o.D.): MÄRCHEN – Wenn das Gute über das Böse siegt
https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/maerchen-gut-boese-brueder-grimm-geschichte-erzaehlen-100.html (23.11.2023)
www.paedagogikblog.de (o.D.): Sind Märchen noch aktuell?
https://www.paedagogikblog.de/sind-maerchen-noch-aktuell/ (23.11.2023)
fernsehserien.de (o.D.): Sechs auf einen Streich. https://www.fernsehserien.de/sechs-auf-einen-streich. (22.11.2023)
Götz, M. (2016): Aschenputtel ist das beliebteste Märchen bei Mädchen – Hänsel und Gretel bei Jungen. Televizion 29/1, 65-67. https://izi.br.de/deutsch/publikation/televizion/29_2016_1/Goetz-Aschenputtel_ist_das_beliebteste_Maerchen.pdf. (22.11.2023)
Götz, M.; Holler, A. (2016): ,,Der sieht aus, als ob er mich fressen kann” – verschiedene Darstellungsformen von Wolf und Hexe im Test. Televizion 29/1, 59-62. https://izi.br.de/deutsch/publikation/televizion/29_2016_1/Holler_Goetz-Der_sieht_aus_als_ob_er_mich_fressen_kann.pdf. (22.11.2023)
Götz, M.; Innermann, I. (2016): Herausforderung Märchenverfilmung: Expertenaussagen der Verantwortlichen Redakteurinnen. Televizion 29/1, 26–28. https://izi.br.de/deutsch/publikation/televizion/29_2016_1/Goetz_Innermann-Herausforderung_Maerchenverfilmung.pdf. (18.11.2023)
Maiwald, K. (2017): Aktuelle Tendenzen des Märchenfilms: Erweiterte Gratifikationen und Adressierungen am Beispiel Schneewittchen. In: U. Dettmar; C. M. Pecher; R. Schlesinger (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel: Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart: J.B. Metzler, 373–394. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04593-5_1
Sauvageot, P. / SWR2 (2022): Die Deutschen und ihre Märchen: Wann schütteln wir die Schwarze Pädagogik ab? https://www.ardaudiothek.de/episode/was-geht-was-bleibt-zeitgeist-debatten-kultur/die-deutschen-und-ihre-maerchen-wann-schuetteln-wir-die-schwarze-paedagogik-ab/swr2/12210807/. (22.11.2023)
Stemmann, A. (2017): Märchenspuren in Springfield. In: U. Dettmar; C. M. Pecher; R. Schlesinger (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel: Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart: J.B. Metzler, 347–358. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04593-5_1
Stiglegger, M. (2017): Märchenfilm und Filmmärchen Der beschwerliche Weg zum Happyend. In: U. Dettmar; C. M. Pecher; R. Schlesinger (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel: Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart: J.B. Metzler, 1–11. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04593-5_1
Wiedemann, D. (2017): Es war einmal… Märchenfilme in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. In: U. Dettmar; C. M. Pecher; R. Schlesinger (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel: Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart: J.B. Metzler, 179–228. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04593-5_1