Kindermediennutzung im Verlauf der Zeit – eine Auswertung der wiederkehrenden KIM-Studie: Teil 1
Während bereits das Radio und der Fernseher die Medienlandschaft von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts revolutionierten, nahm die Geschwindigkeit der Entwicklung neuer Meilensteine im medialen Bereich mit der Informationstechnologischen Revolution der letzten Jahrzehnte nur weiter zu. In dieser Welt zahlreicher neuer Medien wachsen neue Generationen auf, die bereits von Kindesbeinen an in Kontakt mit diesem weitläufigen Mediendschungel kommen. Wie intensiv und umfassend dieser Kontakt ausfällt, wird regelmäßig von der Kindheit, Internet, Medien-Studie, herausgegeben vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest, untersucht. In diesem Artikel betrachten wir, nach einer kurzen Erläuterung der Studienreihe selbst, den Verlauf ausgewählter Ergebnisdaten zur Kindermediennutzung seit der KIM 2012 bis zur aktuellen KIM 2020. Anhand einer Datenanalyse wird in diesem ersten Teil einer mehrteiligen Untersuchung der wiederkehrenden KIM-Studie die Veränderungen im eigenständigen Besitz medialer Geräte von Kindern dargestellt.
Die KIM-Studie
Die KIM-Studie, erstmals veröffentlicht 1999, ist eine mittlerweile zweijährig veröffentlichte Basisstudie, welche den Stellenwert und die Nutzung von Medien im Alltag von Kindern zwischen sechs und 13 Jahren abfragt. Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest befragt hierfür jeweils ca. 1.200 (Vor-)Schüler unterschiedlicher Schul- und Vorschulinstitutionen mündlich, sowie deren Haupterzieher in Schriftform. In dieser repräsentativen Studie werden beispielsweise das Interesse an Freizeitaktivitäten, die Verfügbarkeit verschiedener Medien im Haushalt oder auch Nutzungsregeln zu Medien abgefragt, um einen möglichst umfangreichen Eindruck des Medienumgangs der jungen Generationen zu schaffen.
Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest liefert hierbei lediglich grundlegende Daten; eine Auswertung der Studienreihe über einen groben Vergleich der Ergebnisse zweier aufeinanderfolgender Studien erfolgt nicht. Im Folgenden sowie weiteren, zukünftigen Artikeln, wollen wir diese Betrachtung interessanter Aspekte der Kindermediennutzung im Zeitverlauf vornehmen. Hierzu werden ausgewählte Daten der KIM-Studien von 2012 bis 2020 analysiert.
Methodik
Im Hinblick auf das Vorhandensein von Medien der Befragten Kinder stellte jede der betrachteten KIM-Studien (2012, 2014, 2016, 2018, 2020) dieselbe Frage nach den Besitzverhältnissen von Medien bei Kindern. Welche Medien sind im Eigenbesitz der Kinder und stehen somit den Kindern etwas freier zur Verfügung als lediglich im Haushalt vorhandene, aber von den Eltern besessene Medien? Die Besitzquoten sind hierbei prozentual von der Gesamtheit der befragten Jungen beziehungsweise Mädchen angegeben. Zudem fragen die KIM-Studien teils bis zu über ein Dutzend verschiedene Medien ab; wir haben in unserer Betrachtung eine Auswahl anhand besonders betonter Veränderungen der Besitzquoten vorgenommen.
Alte Medien schwinden
Über den Betrachtungszeitraum von acht Jahren haben sich die Besitzverhältnisse bei Jungen sowie Mädchen im Bezug auf ältere Medien teils drastisch verändert. Am eindeutigsten sind die Rückgänge der Besitzquoten bei beiden Geschlechtern im Bezug auf CD-Player und Radiogeräte. Wie in Abb. 1 zu sehen, besaßen 2020 ‚nur‘ 39 % aller Mädchen einen CD-Player, während 2012 diese Quote noch 23 Prozentpunkte höher lag, bei 62 %. Insgesamt ist damit ein Rückgang von circa einem Drittel beim Besitz von CD-Playern unter den Mädchen zu verzeichnen. Unter den Jungen nahm die Quote im gleichen Zeitraum um 18 Prozentpunkte ab, von 55 % auf 37 %. Diese Quote scheint sich jedoch im Gegensatz zu jener der Mädchen im jüngsten Zweijahreszeitraum zwischen 2018 und 2020 stabilisiert zu haben, statt sich weiter zu verringern. Ob dies ein langfristiger Effekt ist, wird sich erst mit der Veröffentlichung der KIM-Studie 2022 zeigen. Ein permanenter und anhaltender Rückgang der Besitzquoten sowohl bei Jungen und Mädchen ist zugleich in Bezug auf das Radio zu betrachten. Die Zahl der Radiogeräte im Eigenbesitz der jungen Generationen nimmt offenbar stetig ab. Bei den Jungen sank die Quote sogar um mehr als 50 % von 35 % auf lediglich 15 % Besitzquote im Jahr 2020. Während die Mädchen im Jahr 2012 mit 30 % Besitzquote noch seltener ein eigenes Radio besaßen als Jungen, haben sich die Besitzverhältnisse mit einem geringeren Rückgang von 13 Prozentpunkten auf 17 % umgekehrt; 2020 besaßen mehr Mädchen ein eigenes Radio als Jungen.
Schließlich lässt sich auch an der Besitzquote von Kassettenrekordern erkennen, dass alte Medien und Mediengeräte scheinbar aus den Kinderzimmern neuer Generationen verschwinden, denn sie ist im Betrachtungszeitraum sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen insgesamt stark gesunken. Während 28 % der Jungen 2012 einen Kassettenrekorder besaßen, waren es 2020 nur noch 15 %, was einem Rückgang von 13 Prozentpunkten gleichkommt. Bei Mädchen betrug der Rückgang insgesamt 14 Prozentpunkte, da die Quote von 32 % auf 18 % fiel.
Konsolenbesitz geht zurück, nur geringe Coronawirkung
In Abb. 2 haben wir eine Betrachtung der Besitzquoten für Spielekonsolen (mobil und stationär zusammengefasst), als auch für jene von eigenen Internetzugängen und PCs beziehungsweise Laptops vorgenommen. Besonders die Unterschiede beim Eigenbesitz von Spielekonsolen zwischen Jungen und Mädchen ist auffällig. Während im Betrachtungszeitraum der Rückgang des Eigenbesitzes solcher Geräte bei Jungen nur sechs Prozentpunkte auf eine immer noch hohe Quote von 49 % betrug, nahm die Quote bei Mädchen drastisch ab. Während 2012 mit 46 % die Besitzquote von Konsolen bei Mädchen bereits neun Prozentpunkte unter jener der Jungen lag, vergrößerte sich dieser Abstand erheblich auf 16 Prozentpunkte im Jahr 2020, denn die Quote lag hier bei lediglich 33 %. Bei den anderen beiden Quoten in Abb. 2 sind die Disparitäten nicht annähernd so groß. Während 2012 circa ein Viertel aller Jungen einen eigenen PC oder Laptop besaßen (23 %), waren es unter den Mädchen ungefähr ein Fünftel (19 %). Innerhalb des Betrachtungszeitraums nahm diese Quote bei beiden Geschlechtern insgesamt ab und betrug im Jahr 2020 jeweils 18 %. Interessant ist hierbei, dass kein Coronapandemie-Effekt zu betrachten ist. Da die Datenerhebung vom 31. August 2020 bis in den Oktober hinein erfolgte, wäre ein gewisser Effekt möglicherweise erwartbar – schließlich fanden bereits im April bis Mai 2020 Schulschließungen statt.
Ein ebensolcher Effekt ist hingegen möglicherweise der Grund für einen rapiden Anstieg der den Kindern zur Verfügung stehenden Internetzugänge. Während deren Eigenbesitzquote bei den Jungen zwischen 18 % (2012) und 19 % (2016) schwankte, folgte auf den Tiefpunkt von 17 % im Jahr 2018 ein rascher Anstieg auf 24 % im Jahr 2020. Bei den Mädchen konnte eine ähnliche Entwicklung beobachtet werden, wobei deren Besitzquote eines eigenen Internetzugangs nur 2016 der Quote der Jungen gleicht. Ansonsten liegt sie dauerhaft darunter, beginnend 2012 mit einer niedrigen Quote von lediglich 12 %, dann stetig bei 17 % liegend, bis zum finalen Sprung im Jahr 2020 auf 20 %.
Kometenhafter Aufstieg: das Smartphone
Wie in Abb. 3 deutlich zu erkennen ist, nahm die Eigenbesitzquote für das Smartphone unter den Kindern im Verlauf von 2012 bis 2020 rapide zu. Während 2012 unter beiden Geschlechtern weniger als 10 % jeweils ein eigenes Smartphone besaßen, sind es 2020 je 42 %. Zum Vergleich ist die Eigenbesitzquote von Handys insgesamt angegeben – die somit auch klassische Mobiltelefone beinhaltet. Setzt sich die Entwicklung der Smartphone-Besitzquote fort, so scheint es möglich, dass diese in naher Zukunft beinahe deckungsgleich mit der Besitzquote von Mobiltelefonen unter den Kindern zwischen sechs und 13 Jahren wird; was bedeuten würde, dass Kinder in dieser Altersgruppe exklusiv Smartphones besäßen.
Aussortierung gleich Modernisierung?
Die aufbereiteten Daten aus den KIM-Studien von 2012, 2014, 2016, 2018 und 2020 zeigen einerseits, dass einige klassische Kindermedien(-geräte) aus den Kinderzimmern Deutschlands verschwinden. Kassettenrekorder, Radio und CD-Player verlieren klar an Bedeutung für den Eigenbesitz des Kindes selbst. Gleichzeitig bleibt die Besitzquote bei zahlreichen Medien, die wir in diesem Artikel nicht explizit visualisiert haben, gleich. Fernsehgeräte sind im Jahr 2020 mit circa 35 % fast genauso häufig im Eigenbesitz der Kinder wie sie es 2012 waren. Kindercomputer sind bereits 2012 selten gewesen (~ 10 %), und sind 2020 mit 14 % bei Jungen und 15 % bei Mädchen nur geringfügig häufiger geworden.
Dass von 2018 auf 2020 kein noch eindeutigerer Wandel der Kindermedienwelt stattfand, ist vor dem Hintergrund der Coronapandemie überraschend, kann jedoch eventuell auf eine verzögerte Reaktion in den Haushalten zurückzuführen sein – die KIM-Studie 2022 könnte hierüber Aufschluss bringen. Am auffälligsten insgesamt ist der explosionsartige Anstieg der Eigenbesitzquote von Smartphones unter den Kindern im Verlauf des Betrachtungszeitraums. Welche Folgen diese weitläufige Verbreitung internetfähiger Taschencomputer für die jungen Generationen haben wird, ist Thema reger medienpädagogischer Diskussion und noch nicht gänzlich absehbar. Zwar lässt sich vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen der geringeren Vielfalt von Kindermedien in deutschen Kinderzimmern und dem Anstieg der Besitzquote des Smartphones besteht, insgesamt lässt sich eine Korrelation diesbezüglich allerdings nicht alleinig am gestiegenen Smartphone-Eigenbesitz der Kinder ablesen. Die Aussortierung traditioneller Kindermediengeräte scheint somit nicht eindeutig mit einer Modernisierung der Kindermedien einherzugehen, aber ein Verlust der Vielfalt kann durchaus beobachtet werden.
In weiteren Analysen der KIM-Studien werden wir die Veränderung der Kindermedienwelt näher betrachten und besonders auf veränderte Interessen sowie die spezifische Nutzung der Medien eingehen.
Quellen und weiterführende Informationen
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2013): KIM-Studie 2012. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2012/KIM_Studie_2012.pdf (31.10.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2013): KIM-Studie 2012. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2012/KIM_Studie_2012.pdf (31.10.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2015): KIM-Studie 2014. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2014/KIM_Studie_2014.pdf (31.10.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2017): KIM-Studie 2016. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-PDF.pdf (31.10.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2019): KIM-Studie 2018. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2018/KIM-Studie_2018_web.pdf (31.10.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2021): KIM-Studie 2020. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2020/KIM-Studie2020_WEB_final.pdf (31.10.2022)