#Kurz gefasst, klar gedacht: Wie digitale Medien die Identitätsentwicklung beeinflussen — Chancen und Herausforderungen

Die Identitätsentwicklung ist ein zentraler Bestandteil des Heranwachsens. Kinder und Jugendliche formen ihr Selbstbild durch Erfahrungen, soziale Interaktionen und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Besonders die kulturelle Identität, also das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten, Überzeugungen und Traditionen zu sein, spielt eine wichtige Rolle in diesem Prozess (Jameson, 2007, zitiert nach Jiang et al., 2025). Während früher vor allem Familie, Schule und direkte soziale Kontakte diese Identitätsbildung prägten, nehmen heute digitale Medien einen immer größeren Einfluss darauf. Soziale Netzwerke und digitale Spiele bieten jungen Menschen neue Möglichkeiten, sich auszudrücken und ihre Identität zu entwickeln (Jiang et al., 2025; Ullah et al., 2024).
In diesem Beitrag werden die Chancen und Herausforderungen digitaler Medien für die Entwicklung der eigenen Identität von Kindern und Jugendlichen analysiert. Dazu werden Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Pädiatrie herangezogen.
Chancen
Selbstausdruck und Kreativität
Soziale Medien wie TikTok und Instagram geben Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Interessen und Meinungen zu teilen. Dabei geht es nicht nur um Selbstdarstellung, sondern auch um die Erprobung unterschiedlicher Identitäten. Viele Jugendliche nutzen diese Plattformen gezielt, um sich selbst besser kennenzulernen und herauszufinden, wofür sie stehen (Steeves, 2010, zitiert nach Shanmugam & Findlay, 2024). Gleichzeitig bieten digitale Medien Raum für gesellschaftliches Engagement. Jugendliche setzen sich hier mit sozialen und politischen Themen auseinander und nutzen ihre Reichweite, um über persönliche Anliegen zu sprechen. Diese Form des kollektiven Ausdrucks fördert ihre persönliche Entwicklung und stärkt ihr Verantwortungsbewusstsein (Literat & Kligler-Vilenchik, 2019, zitiert nach Literat, 2021).
Soziale Integration
Studien zeigen, dass ein starkes Gemeinschaftsgefühl die kulturelle Identität stärkt und das Selbstvertrauen fördert (Pollock & Van Reken, 2009, zitiert nach Jiang et al., 2025; Dabamona et al., 2021 zitiert nach Jiang et al., 2025). Besonders für Jugendliche, die sich im realen Leben isoliert fühlen, bieten Plattformen wie TikTok eine Möglichkeit, ihre Emotionen zu teilen und Unterstützung von Gleichgesinnten zu erfahren (Literat, 2021).
Neue Fähigkeiten und Selbstwahrnehmung
In Online-Spielen übernehmen Jugendliche oft Rollen, die sie im echten Leben vielleicht nicht gewohnt sind (Labor & Sayuno, 2024). Dabei geht es nicht nur um das Lösen von Aufgaben, sondern auch um die Entwicklung von Fähigkeiten wie strategisches Denken, Teamarbeit und Durchsetzungsvermögen. Viele erkennen durch das Spielen zum ersten Mal, dass sie Führungsqualitäten haben oder gut im Wettbewerb bestehen können (Labor & Sayuno, 2024). Multiplayer-Spiele bieten zudem die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, Strategien zu entwickeln oder mit Niederlagen umzugehen. So können Jugendliche in einem geschützten Rahmen neue Seiten an sich entdecken und ihre Stärken weiterentwickeln.
Herausforderungen
Identitätsfindung zwischen digitaler Welt und realem Leben
Jugendliche stehen heute vor der Herausforderung, ihre Identität in einer Welt zu finden, die stark von sozialen Medien und globalen Trends geprägt ist. Online werden oft idealisierte Lebensstile und Schönheitsideale vermittelt, die nicht immer mit den Werten der eigenen Familie oder Kultur übereinstimmen. Das kann dazu führen, dass sich Jugendliche innerlich zerrissen fühlen – zwischen den Erwartungen ihrer Eltern und den Normen, die sie in sozialen Netzwerken sehen (Ratriyana, 2024).
Zudem präsentieren sich viele online anders als im echten Leben. Die ständige Selbstinszenierung und der Vergleich mit anderen können Selbstzweifel und Unsicherheiten verstärken. Studien zeigen, dass eine übermäßige Nutzung sozialer Medien die eigene Identitätsfindung erschweren kann (Ullah et al., 2024). Gleichzeitig führt die verstärkte digitale Kommunikation oft dazu, dass reale soziale Fähigkeiten, wie der direkte persönliche Austausch mit anderen, in den Hintergrund geraten (Labor & Sayuno, 2024).
Cybermobbing
Soziale Netzwerke können einen hohen Druck erzeugen, stets perfekt auszusehen und erfolgreich zu wirken. Gleichzeitig bieten sie Raum für negative Erfahrungen wie Beleidigungen und Mobbing. Besonders in Online-Spielen und Kommentarbereichen sind toxisches Verhalten und Cybermobbing weit verbreitet. Ohne klare Regeln oder elterliche Begleitung kann dies das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigen (Drotner, 2022, zitiert nach Labor & Sayuno, 2024).
Fazit
Insgesamt sind digitale Medien weder per se positiv noch negativ für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen – sie bieten Chancen, bringen aber auch Risiken mit sich (Yee & Loy, 2024). Während digitale Medien es jungen Menschen ermöglichen, sich kreativ auszudrücken und soziale Netzwerke aufzubauen, können sie gleichzeitig Unsicherheiten und sozialen Druck verstärken (Labor & Sayuno, 2024).
Letztlich bleibt die Nutzung digitaler Medien eine Balance zwischen Chancen und Herausforderungen. Eltern und Pädagog*innen sollten daher einen bewussten Umgang mit digitalen Plattformen fördern und Jugendliche dabei unterstützen, eine gesunde und reflektierte digitale Identität zu entwickeln.
Quellen und weiterführende Informationen
Labor, J. & Sayuno, C. M. (2024). Co-constructing the Young Filipino Gamer: Mobile Gaming and Media Experiences in the Philippines. In Andrew Zi Han Yee (Hrsg.), Mobile Media Use Among Children and Youth in Asia. Mobile Communication in Asia: Local Insights, Global Implications (S. 29–52). Springer Nature B.V.
Literat, I. (2021). “Teachers Act Like We’re Robots”: TikTok as a Window Into Youth Experiences of Online Learning During COVID-19. AERA Open, 7, Artikel 2332858421995537. https://doi.org/10.1177/2332858421995537
Ratriyana, I. (2024). Young, Famous, and Confused: The Narrative Storytelling of Young Indonesian Influencers During the COVID-19 Pandemic. In Andrew Zi Han Yee (Hrsg.), Mobile Media Use Among Children and Youth in Asia. Mobile Communication in Asia: Local Insights, Global Implications (S. 53–73). Springer Nature B.V.
Shanmugam, S. & Findlay, M. (2024). Empowering Young Digital Citizens: The Call for Co-creation Between Youth and Policymakers in Regulating for Online Safety and Privacy. In Andrew Zi Han Yee (Hrsg.), Mobile Media Use Among Children and Youth in Asia. Mobile Communication in Asia: Local Insights, Global Implications (S. 159–184). Springer Nature B.V.
Ullah, R. S. , Naz, M. , Alam, J. e., & Khan, A. U. (2024). The Role of Social Media in Shaping Adolescent Identities and Peer Relationships within Educational Settings. Bulletin of Business and Economics (BBE)13(3), 575–584. https://doi.org/10.61506/01.00539
Yee, A. Z. H. & Loy, G. P. (2024). Mobile Media and Asian Youths: Everything Everywhere All at Once. In Andrew Zi Han Yee (Hrsg.), Mobile Media Use Among Children and Youth in Asia. Mobile Communication in Asia: Local Insights, Global Implications (S. 1–10). Springer Nature B.V.