Sexualität und sexuelle Orientierung – Warum Aufklärung bereits im Kindergartenalter wichtig ist
Sexualität und sexuelle Orientierung sind schwierige, teilweise sogar tabuisierte Themen, die nicht jede*r bei seinen Kindern ansprechen möchte. Manchen bereitet es Unwohlsein, andere verbinden Kinder und Sexualität schlicht nicht miteinander. Warum es dennoch wichtig ist, Kinder bereits im Kindergarten und auch später noch altersgerecht aufzuklären und mit ihnen über diese Themen zu reden, zeigt der folgende Beitrag.
Sexualität
Bei Sexualität geht es nicht nur um Geschlechtsverkehr, sondern ebenso um die eigenen Gefühle. Sexualität begleitet uns ein Leben lang und fängt nicht erst ab einem gewissen Alter an. Zu unterscheiden ist hier zwischen frühkindlicher und Erwachsenensexualität. Während es bei Kindern darum geht, den eigenen Körper zu entdecken, was den Wunsch nach Nähe und Geborgenheit impliziert, ist Sexualität bei Erwachsenen absichtsvoll und auf Entspannung und Befriedigung ausgerichtet. Es gibt eine klare Grenze zwischen den Handlungen. Auch wenn Kinder sich beispielsweise voreinander ausziehen und sich gegenseitig neugierig betrachten, hat das noch nichts mit einer sexuellen Handlung zu tun, wie man sie als Erwachsene*r verstehen könnte. So ist außerdem bereits im Kindergartenalter eine Form der Selbstbefriedigung zu beobachten, was jedoch in den meisten Fällen nicht weiter problematisch ist.
Hier setzt die Aufklärung an. Das Schamgefühl entwickelt sich bei Kindern unterschiedlich, manche empfinden es bereits mit zwei Jahren, andere erst ein paar Jahre später. Um Kinder zu schützen, vor allem wenn sie sich an Orten ausziehen und berühren, die öffentlich zugänglich sind, sollte ihnen erklärt werden, dass sie sich damit besser beschäftigen, wenn sie ungestört sind. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, dies nicht in der Öffentlichkeit zu tun – nicht nur weil es nach dem Gesetz (später) strafbar ist, sondern auch, damit niemand sie dabei beobachten kann.
Eine frühe Aufklärung ist zudem wichtig, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Wenn Kinder früh lernen, über beispielsweise ihre Genitalien zu sprechen bzw. sie zu benennen, können sie darüber reden, wenn unangenehme Dinge passieren. Zudem lernen sie über aufklärende Gespräche, dass sexuelle Handlungen von Erwachsenen an Kindern verboten sind. So können sich die Kinder besser dagegen wehren und ihren Eltern oder Erzieher*innen davon erzählen.
Eltern befürchten im Zusammenhang mit Aufklärung manchmal, dass diese bei ihren Kindern zu einer Frühsexualisierung führen könnte oder solche Gespräche sie verwirren könnten. Doch nur weil etwas erklärt wird, wächst bei Kindern nicht der Wunsch, es auch zu tun. Wenn Kinder über Sexualität und ihre Optionen diesbezüglich Bescheid wissen, können sie sich freier dafür oder dagegen entscheiden. Im offenen Gespräch und über die Entdeckung des eigenen Körpers erhalten Kinder die Möglichkeit einer gesunden Entwicklung. Auf diese Weise können sie auch später besser mit diesen Themen umgehen und erlangen wichtiges Wissen über sich selbst. Sie können sagen, was ihnen gefällt und was nicht, und ein positive Einstellung zu ihrem Körper entwickeln.
Ab wann Kinder für diese Themen bereit sind, unterscheidet sich von Kind zu Kind. Allgemein gilt, wenn Kinder von sich aus Fragen stellen, können Eltern mit ihnen darüber reden.
Sexuelle Orientierung
Ein weiteres wichtiges Thema im Zusammenhang mit Aufklärung und Sexualität ist die sexuelle Orientierung. Gerade in den letzten Jahren ist dieses Thema hochaktuell und die Kinder werden früher oder später Fragen dazu stellen.
Bei der sexuellen Orientierung geht es darum, zu welchem Geschlecht bzw. zu welcher Person sich ein Mensch hingezogen fühlt. Aufklärung kann hier nicht nur Homophobie mindern und das Verständnis gegenüber der Gender-Diversität fördern, sondern stellt ebenfalls eine Voraussetzung für gesunde Beziehungen dar. Im Gespräch können Kinder Sicherheit und Akzeptanz erfahren. Über eine frühe Aufklärung können Kinder so eine stabile emotionale Grundlage entwickeln, wenn sie in der Pubertät herausfinden möchten, was ihre eigene sexuelle Orientierung ist. Dabei stellen sich Kinder nicht gleich infrage, wenn über dieses Thema gesprochen wird, sondern lernen zunächst, mit unterschiedlichen Identitäten oder sexuellen Orientierungen umzugehen.
Wenn Kinder früh lernen, dass sie genauso geliebt werden, wie sie sind, festigt dies ihr Selbstwertgefühl. Sie sollten über die Aufklärung erfahren, dass man sich seine sexuelle Orientierung nicht aussuchen kann und ihre sexuelle Identität zuhause akzeptiert wird. Auch wenn diese Themen erst in den folgenden Lebensabschnitten wichtig werden, sollte hier Vertrauen aufgebaut werden. Eine solche Grundlage darf nicht unterschätzt werden. Bei Kindern, die mit ihrer sexuellen Orientierung oder Identität in der Minderheit sind, steigt das Risiko eines Selbstmordversuches in der Jugend stark an. Depressionen gehören ebenfalls zu den Folgen einer unterdrückten Sexualität.
Eine frühkindliche Aufklärung kann Kinder dementsprechend positiv prägen und auf ihre späteren Erfahrungen besser vorbereiten, ohne dass sie dabei verwirrt oder frühsexualisiert werden. Ein hilfreiches Mittel, um mit Kindern über Sexualität und sexuelle Orientierung zu sprechen, sind Bücher. Im Folgenden werden daher Bücher vorgestellt, die diese Themen behandeln.
Buchempfehlungen
Sorum und Anders
von Yvonne Hergane (Autorin) und Christiane Pieper (Illustratorin)
Das Buch handelt von den Freund*innen Sorum und Anders. Sie beide sind sehr unterschiedlich – sie mögen unterschiedliche Dinge und sehen unterschiedlich aus. Sorum wird dabei “sie” genannt, Anders “er”. Dennoch werden sie nicht heteronormativ dargestellt, wodurch viele Möglichkeiten enstehen, mit Kindern ins Gespräch zu kommen.
Thematik: Geschlechtsidentität
Altersempfehlung: 0-3 Jahre
Ich mag …
von Constanze von Kitzing (Autorin und Illustratorin)
Im Buch werden Kinder mit den Dingen oder während Tätigkeiten dargestellt, die sie gerne mögen, beispielsweise Spielzeug oder Tanzen. Dadurch können Kinder lernen zu sagen, was ihnen gefällt oder auch nicht gefällt. Das Buch ist nicht geschlechtsstereotypisch geschrieben, wodurch alle Kinder angesprochen werden. Zudem wird der respektvolle Umgang mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten thematisiert.
Thematik: Vielfalt, Gefühle, Vorlieben, People of Color
Altersempfehlung: 0-3 Jahre
Das kleine Ich bin Ich
von Mira Lobe (Autorin) und Susi Weigel (Illustratorin)
In dem Kinderbuchklassiker aus dem Jahr 1972 geht es um ein kleines buntes Tier, dessen Identität ungeklärt ist. Verzweifelt macht es sich auf die Suche und fragt andere Tiere, ob diese wissen, wer es sei. Doch niemand hat eine Antwort. Es ähnelt zwar den Tieren wie Pferd, Papagei oder Hund, aber unterscheidet sich ebenso sehr von ihnen. Am Schluss erkennt es: “Ich bin Ich.”
Thematik: Individualität
Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Wie entsteht ein Baby? – Ein Buch für jede Art von Familie und jede Art von Kind
von Cory Silverberg (Autor) und Fiona Smyth (Illustratorin)
In dem Bilderbuch geht es, wie der Titel sagt, rund um die Frage “Wie entsteht ein Baby?”. Dabei geht es vordergründig um die verschiedenen Familien- bzw. Lebensformen, wie Adoptivfamilien, homosexuelle Elternpaare und Trans*eltern. Es wird altersgerecht erklärt, dass nicht alle Kinder auf dieselbe Weise auf die Welt kommen.
Thematik: Aufklärung, Regenbogenfamilien, Trans*
Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Flora und der Honigkuss
von Barbara Müller (Autorin) und Ann-Kathrin Nikolov (Illustratorin)
Flora ist eine Prinzessin und verbringt ihre Tage damit, am Teich mit den Fröschen zu spielen und sich mit ihren Freundinnen zu treffen. Als diese anfangen, die Frösche zu küssen, weil sie ihren Prinzen bekommen wollen, hat Flora keine Lust darauf. Ihre Eltern stellen ihr daraufhin jede Menge Frösche vor, doch Flora findet stattdessen jemand ganz Besonderen.
Thematik: Homosexualität
Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Ich bin ein Kind und ich habe Rechte
von Alain Serres (Autor) und Aurélia Fronty (Illustratorin)
In dem Buch geht es um die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNO). Themen sind u. a. Familie, Herkunft und Krieg. Es hält sich zwar an die binäre Geschlechterordnung, eignet sich jedoch, um mit Kindern über ihre Rechte zu sprechen.
Thematik: Rechte
Altersempfehlung: 3-6 Jahre
Quellen und weiterführende Informationen
Klexikon (o. D.): Sexualität. https://klexikon.zum.de/wiki/Sexualit%C3%A4t. (11.06.2023)
Loveline (o. D.): Liebe und Sexualität. https://www.loveline.de/themen/liebe/liebesbeziehung/liebe-und-sexualitaet/. (11.06.2023)
Pohlkamp, I.; Rosenberger, K. (2018): Akzeptanz für Vielfalt von klein auf! Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Kinderbüchern. Ein Rezensionsband für pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten. http://akzeptanz-fuer-vielfalt.de/fileadmin/daten_AfV/PDF/AWS_MAT16_2018_02_Akzeptanz_fuer_Vielfalt_Kinderbuecher.pdf. (11.06.2023)
Regenbogenportal (o. D.): Pädagogik und Bildung – Kita, Schule, Ausbildung & Jugendarbeit. https://www.regenbogenportal.de/fuer-fachkraefte/paedagogik-bildung/kita-schule-ausbildung-jugendarbeit. (11.06.2023)
Röcker, A. (2022): Wie Kinder ihren Körper erkunden. https://www.spektrum.de/news/selbstbefriedigung-wie-kinder-ihren-koerper-erkunden/1977838. (11.06.2023)
Scholz-Hinton, S. (2022): Sexuelle Orientierung: Ab welchem Alter wird sie Kindern bewusst? https://www.eltern.de/schulkind/jugendliche/outing-homosexualitaet-jugendliche.html. (11.06.2023)
Schultheiß, H. (2022): Mit Kindern über Sex reden – aber wie? https://www.spektrum.de/news/aufklaerung-mit-kindern-ueber-sexualitaet-reden-aber-wie/1988917 (11.06.2023)
Wohlmuth, L. (2022): Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – ein Thema für die Schule? https://www.leben-und-erziehen.de/kind/schule/sexuelle-vielfalt-14145.html. (11.06.2023)
World Health Organization (2017): Sexual health and its linkages to reproductive health: an operational approach.https://www.who.int/publications/i/item/978924151288. (11.06.2023)