Interaktives Storytelling mit Twine – ein Workshopkonzept für 11- bis 14-Jährige
Vorstellung
Kennen Sie das? Sie lesen ein Buch, sind ganz gefesselt von der Handlung – doch am Ende
geht es anders aus, als Sie es sich erhofft hatten. Wäre es da nicht manchmal schön, die
Handlung selbst bestimmen zu können? Dann probieren Sie einmal interaktives Storytelling
aus!
Unter dem Oberbegriff interaktives Storytelling werden Geschichten mit mehreren
alternativen Handlungssträngen zusammengefasst. Die Leser*innen werden dabei aktiv in
das Geschehen miteinbezogen und können anhand vorgegebener Optionen selbst
entscheiden, wie die Geschichte weitergehen soll.
Interaktives Storytelling kam erstmals in den 1960er-Jahren in Form von Spielbüchern auf.
Später wurden diese digital als sogenannte Textadventures spielbar gemacht. Sie gelten als
die Vorläufer der Computerspiele, wie wir sie heute kennen. Anders als bei heutigen
Computerspielen wird das Spielgeschehen in Textadventures jedoch nicht grafisch, sondern
lediglich in Textform vermittelt. Bilder oder Sound werden selten verwendet.
Die ersten Textadventures kamen in den 1970er-Jahren auf. Sie wurden jedoch schnell von
grafischen Computerspielen verdrängt. Trotzdem gibt es bis heute eine Community, die
immer noch Textadventures spielt und erstellt. Eine Vielzahl von Programmen erleichtert den
Gamer*innen dabei die Arbeit. Zu den populärsten Programmen zählt Twine. Durch die
einfache Handhabung eignet sich das Programm bereits für Kinder ab 10 Jahren.
Konzept
Im Workshop entwickeln die Teilnehmenden in kleinen Teams eine nichtlineare, interaktive
Geschichte. Diese machen sie anschließend mit der kostenlosen Open-Source-Software
Twine als Textadventure spielbar. Der Fokus des Workshops liegt dabei auf dem Thema
interaktives Storytelling. Ziel des Workshops ist es, dass die Teilnehmenden die Grundlagen
des interaktiven Storytellings kennen und anhand einer selbst geschriebenen Geschichte
anwenden können.
Tipp: Je nach Alter und Interessen der Teilnehmenden kann der thematische Schwerpunkt
variiert werden. Beispielsweise kann der Fokus ebenso auf den Umgang mit Twine gelegt
werden. Darüber hinaus ist die Vermittlung von Grundkenntnissen in HTML und CSS mit
Twine möglich.
Durch den Workshop können vielfältige Kompetenzen bei den Teilnehmenden gefördert
werden. So wird durch das Verfassen einer eigenen, interaktiven Geschichte die Kreativität
sowie die Lese- und Schreibkompetenz intensiv gefördert. Durch den Umgang mit der
Software Twine wird zudem die Mediennutzungskompetenz erweitert. Die Umsetzung und
mediale Ausgestaltung der Geschichte (zum Beispiel durch die Einbindung von lizenzfreien
Bildern), schulen zudem die Kompetenz in der Mediengestaltung. Darüber hinaus werden die
Teilnehmenden für den rechtssicheren Umgang mit Bildern sensibilisiert. Das Verfassen
einer Geschichte im Team erfordert neben Kooperationsbereitschaft eine gute
Kommunikations- und Kompromissfähigkeit. Durch den Workshop wird daher nicht zuletzt
die Teamfähigkeit der Teilnehmenden gestärkt.
Wissenswert
Für die erfolgreiche Teilnahme am Workshop sind grundlegende Kenntnisse im Storytelling
sowie eine gute Lese-, Schreib- und Medienkompetenz von Vorteil. Daher wird der Workshop
für Kinder und Jugendliche zwischen elf und 14 Jahren empfohlen. Vorkenntnisse in der
Software Twine sind nicht erforderlich und werden im Rahmen des Workshops vermittelt.
Der Workshop ist auf eine Dauer von etwa viereinhalb Stunden bei einer Gruppengröße von
zwölf Teilnehmenden und mindestens zwei Betreuer*innen ausgelegt. Zwischen den
einzelnen Phasen sollten ausreichend Pausen eingeplant werden, um den Teilnehmenden
die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen und auf die nächste Phase einzustimmen.
Tipp: Der Workshop kann alternativ als geschlossenes Angebot, zum Beispiel mit
Schulklassen, durchgeführt werden. Aufgrund des Schwerpunkts auf dem Thema Storytelling
eignet sich der Workshop beispielsweise gut für das Fach Deutsch.
Folgende Materialien werden zur Durchführung des Workshops benötigt:
Material | Anzahl | Verwendung |
Präsentationsfolien und Beamer | 1 | Input zu Textadventures und Storytelling |
Bilder und Einleitungssätze | mindestens 2 pro Gruppe | Inspiration für Entwurf der Geschichte |
Papierkarten oder Klebezettel | 12 pro Gruppe | Entwurf der Geschichte |
Stifte | 1 pro Teilnehmer*in | Beschriftung der Papierkarten |
großer Papierbogen (zum Beispiel Flipchartpapier) | 1 pro Gruppe | Entwurf der Geschichte |
Laptops | 1 pro Gruppe | Umsetzung des Textadventures in Twine |
Twine-Software (im Browser oder als Desktop-App) | 1 pro Laptop | Umsetzung des Textadventures in Twine |
Handout mit grundlegenden Funktionen der Software Twine | 1 pro Teilnehmer*in | Gedächtnisstütze für die Arbeit mit Twine |
USB-Stick | mindestens 1 | Datensicherung |
Für die Vorbereitung des Workshops sollte ausreichend Zeit eingeplant werden. So müssen die Inhalte für den Input zu den Themen Textadventures, Storytelling und Twine ausgearbeitet und die Inspirationsbilder und -sätze erstellt werden. Kostenlose, lizenzfreie Fotos sind beispielsweise auf der Plattform Pixabay zu finden. Empfehlenswert ist es zudem, Twine im Vorhinein auf den Laptops zu installieren, um während des Workshops unabhängiger vom Internet zu sein. Die Software kann unter www.twinery.org kostenfrei für Windows, macOS und Linux heruntergeladen werden.
Sofern nicht bereits vorhanden, muss sich zudem Grundwissen über das interaktive Storytelling und Textadventures angeeignet werden. Die Einarbeitung in die grundlegenden Funktionen von Twine nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Eine gute Übersicht zu Twine mit vielen weiterführenden Informationen ist beispielsweise auf der Website der Technischen Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (tifbig) zu finden.
Der Workshop
Im Folgenden werden die einzelnen Phasen des Workshops kurz beschrieben. Ein detaillierter Ablaufplan kann am Ende des Beitrags heruntergeladen werden.
Phase 1: Begrüßung und Vorstellung
Der Workshop beginnt mit der Begrüßung durch die Workshopleiter*innen und der Vorstellung der Agenda. Da es sich um ein offenes Angebot handelt, empfiehlt es sich, eine kurze Vorstellungsrunde anzuschließen, in der die Teilnehmenden sich untereinander besser kennenlernen können. Diese dient außerdem zur Vorbereitung auf die später folgende Partnerarbeitsphase.
Als Kennenlernspiel eignet sich beispielsweise das Spiel Namensball. Dabei bilden die Teilnehmenden zunächst einen Kreis. Dann werfen sie sich nacheinander kreuz und quer einen Ball zu und rufen dabei den Namen der Person, die den Ball bekommen soll. Das Spiel kann mehrere Runden gespielt werden. Damit die Teilnehmenden sich besser kennenlernen, kann beispielsweise jede*r, der*die den Ball hat, etwas über sich erzählen oder die Teilnehmenden stellen sich gegenseitig Fragen.
Phase 2: Einführung in die Themen Textadventures und Storytelling
In Phase 2 werden die theoretischen Grundlagen für die darauffolgende selbständige Arbeitsphase gelegt. Zunächst erhalten die Teilnehmenden eine Einführung in das Genre Textadventures. Darin kann zum Beispiel auf typische Merkmale von Textadventures sowie deren Entstehung und Geschichte eingegangen werden. Zudem können Spielbücher als Vorform heutiger Textadventures gezeigt werden.
Tipp: Um den Teilnehmenden ein Gefühl für Textadventures zu geben, kann in dieser Phase
zur Veranschaulichung gemeinsam ein vorgefertigtes Textadventure durchgespielt werden.
Eine Auswahl deutschsprachiger Textadventures gibt es zum Beispiel auf der Plattform
ifwizz.
Anschließend werden die wichtigsten Aspekte, die beim Storytelling beachtet werden müssen, kurz besprochen. Inhalte können hier beispielsweise Bestandteile von Geschichten (Held*in, Konflikt, Botschaft), Handlungsverlauf und Spannungsbogen (Einleitung, Hauptteil Schluss) sowie die sieben Basic Plots, Erzählperspektiven und Zeitformen sein.
Tipp: Da die Teilnehmenden vermutlich bereits einiges Vorwissen zum Thema Storytelling mitbringen, bietet es sich an, dieses zu Beginn in einem kurzen Gespräch oder mit einer Umfrage abzufragen. So kann im Input darauf Bezug genommen und dieser individuell an das Vorwissen der Teilnehmenden angepasst werden.
Die Inputphase sollte insgesamt nicht länger als eine halbe Stunde in Anspruch nehmen. Um die Kreativität der Teilnehmenden anzuregen, kann anschließend ein Spiel gespielt werden. Hierfür eignet sich beispielsweise Tabu. Dabei müssen die Teilnehmenden der Gruppe Wörter erklären, ohne dass das Wort selbst und drei weitere verwandte Wörter genannt werden.
Phase 3: Entwicklung einer Geschichte
In dieser Phase sind die Teilnehmenden selbst an der Reihe. Sie bekommen die Aufgabe, in Zweierteams eine Struktur für eine interaktive Geschichte mit maximal zwölf Passagen und zwei bis drei Enden zu entwickeln. Diese Limitierung ist empfehlenswert, um zu verhindern, dass die Geschichten zu sehr ausschweifen. Dazu bekommen die Teilnehmenden Kärtchen, auf denen sie die Inhalte der einzelnen Passagen stichpunktartig notieren. Durch Verbindung der Passagen mit Strichen auf einem großen Papierbogen entsteht so nach und nach die Struktur für die Geschichte.
Tipp: Um die Gruppenbildung möglichst kurz zu halten, empfiehlt es sich, hierfür zu losen.
Phase 4: Umsetzung in Twine
Nachdem die Teilnehmenden die Geschichtenstruktur entwickelt haben, geht es in dieser Phase an die technische Umsetzung in Twine. Dazu werden anhand einer Live-Demonstration die wichtigsten Funktionen und Grundbefehle von Twine vorgestellt. In Twine gibt es mehrere Story-Modi. Für die Einführung eignet sich der Standardmodus Harlowe, da dieser besonders einsteigerfreundlich ist und keine Programmierkenntnisse voraussetzt.
Im Anschluss bekommen die Kinder und Jugendlichen die Aufgabe, die Geschichte auszuformulieren und in Twine nachzubauen. Zur Unterstützung erhält jedes Team ein Handout mit den wichtigsten Twine-Befehlen. Dieses kann am Ende des Beitrags heruntergeladen werden. Für diese Phase sollten mindestens 75 Minuten eingeplant werden.
Tipp: Falls einige Teams früher fertig sind, können weitere Funktionen von Twine, wie
Variablen und Schleifen sowie die Veränderung der Gestaltung mittels CSS in Form weiterer
kurzer Inputs vermittelt werden.
Wichtig ist, dass am Ende keine perfekte Geschichte herauskommen muss. Viel mehr soll der Workshop den Teilnehmenden einen ersten Einblick in das interaktive Storytelling geben und ihr Interesse dafür wecken.
Phase 5: Ergebnispräsentation
Nach der langen Phase der Partnerarbeit werden die Teilnehmenden in Phase 5 wieder zusammengeführt. Dafür eignet sich beispielsweise das Sortierspiel. Dabei haben die Spieler*innen die Aufgabe, sich nach einer vorgegebenen Reihenfolge (beispielsweise alphabetisch nach Nachnamen, nach Hausnummer, nach Geburtstag etc.) in einer Reihe aufzustellen, ohne sich zu unterhalten.
Im Anschluss stellen die Teams ihre Geschichten kurz im Plenum vor. Danach folgt eine Spielphase, in der die Teilnehmenden sich je nach Interesse in Gruppen aufteilen können und gemeinsam ein Textadventure eines anderen Teams durchspielen dürfen.
Den Abschluss bildet eine Feedbackrunde, in der die Teilnehmenden ihre Eindrücke über den Workshop schildern können.
Tipp: Es empfiehlt sich, den Teilnehmenden eine Weiterarbeit an ihren Textadventures zu
ermöglichen. Hierfür können die Textadventures im Nachgang als HTML-Dateien
heruntergeladen und den Teilnehmenden, zum Beispiel per E-Mail, zugesendet werden.
Materialien
Das Workshopkonzept wurde von Studierenden der Hochschule der Medien im Sommersemester 2023 im Rahmen des Moduls Medienpädagogik konzipiert und erprobt.
Quellen und weiterführende Informationen
Landwehr, D. (2021): Mit Textadventures zurück in die Frühzeit der Computerspiele. https://blog.nationalmuseum.ch/2020/01/mit-textadventures-zurueck-in-die-fruehzeit-der-computerspiele/ (08.06.2023)
Medienkompetent mit Spielen (o. D.): Textadventure mit Twine. http://medienkompetent-mit-games.de/textadventure-mit-twine (13.06.2023)
Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (o. D.): Einstieg in Twine. https://www.tjfbg.de/ausserschulische-angebote/barrierefrei-kommunizieren/publikationen/projektideen-meko-2019/2021/infos-einstieg-in-twine-einfacher-gemacht (09.06.2023)
Vlasak, L. (2019): Interaktives Storytelling: Den Lauf der Geschichte mitbestimmen. https://dialogplus.at/2019/12/29/interactive-storytelling-neue-wege-in-der-kommunikation/ (08.06.2023)