Diversitätssensibles Spielzeug – Normalität oder Nischenprodukt?
In Deutschland hatte 2021 über ein Viertel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Sieben Prozent gaben im selben Jahr an, sich als Teil der LGBTQ+-Community zu sehen. Knapp zehn Prozent der Menschen in Deutschland lebten 2021 außerdem mit einer schweren Behinderung. Diese Zahlen zeigen: Die deutsche Gesellschaft ist bunt und vielfältig. Diese Vielfalt spiegelt sich jedoch gegenwärtig nicht im Spielzeugangebot wider.
Spielzeugangebot in Deutschland
Was beim Spaziergang durch Spielwarengeschäfte schon auffällt, lässt sich auch empirisch belegen. Die Erziehungswissenschaftler*innen Wiebke Waburg und Volker Mehringer führten 2016 gemeinsam mit Master-Studierenden ein Forschungsprojekt durch, bei dem das in Katalogen angebotene Spielzeug fünf bekannter Spielwarenhersteller untersucht wurde.
Es zeigte sich, dass außer in der Kategorie Geschlecht nur selten Diversitätsmerkmale im Spielzeugangebot Beachtung fanden. So waren beispielsweise über drei Viertel der angebotenen Figuren weiß, während lediglich drei Prozent der Figuren People of Color repräsentierten. In Bezug auf die Körperform wurde in 93,5 % der Fälle die Kategorie schlank bis normal gewählt. Körperliche Beeinträchtigungen oder Behinderungen sowie moderne Familienmodelle wurden nahezu gar nicht abgebildet.
Eine Recherche des Arbeitsbereichs für vorurteilsbewusste Materialentwicklung der Fachstelle Kinderwelten am Institut für den Situationsansatz (ISTA) zeigte zudem, dass weiblich gelesene Figuren häufiger als männlich gelesene Figuren in schlecht bezahlten, hierarchisch untergeordneten Berufen, wie zum Beispiel als Flugbegleiterin, dargestellt wurden. Darüber hinaus stellten die Studienautor*innen fest, dass das Spielwarenangebot in Deutschland sich von dem in den USA und Großbritannien unterscheidet. So wird beispielsweise die Produktserie Barbie Robotics Engineer der Firma Mattel, die Barbies in technischen Berufen zeigt, auf dem deutschen Markt nicht angeboten.
Bedeutung von Spielzeug für die Identitätsentwicklung
Aber warum ist es wichtig, dass auch im Spielzeugangebot gesellschaftliche Vielfalt abgebildet wird?
Kinder setzen sich im Spiel mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinander. Durch das Spiel erwerben sie vielfältige soziale, körperliche, intellektuelle und emotionale Fähigkeiten und bauen diese aus. Gleichzeitig verarbeiten sie im Spiel Erlebnisse aus ihrem Alltag. Das Spiel gibt ihnen dabei die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen und sich als Person auszuprobieren, zu entwickeln und zu festigen.
Spielzeuge nehmen dabei eine wichtige Rolle ein, denn sie vermitteln den Kindern „Botschaften über sich, über andere Menschen und die Welt und darüber, was gesellschaftlich als ‚normal‘ gesehen wird“ (Koné/Macha, 2020, S. 220). Dies hat zur Folge, dass Kinder in Spielzeugen dargestellte Diversitätsmerkmale als wichtig und erwünscht wahrnehmen, während fehlende Aspekte als bedeutungslos oder unerwünscht angesehen werden.
Eindrücklich verdeutlicht dies auch ein Experiment, welches unter dem Namen Doll-Test bekannt wurde. Dabei wurden Kindern im Alter von drei bis sieben Jahren zwei Puppen gezeigt, die sich nur in ihrem Hautton unterschieden. Im Anschluss wurden sie gefragt, welche Puppe sie bevorzugen. Der überwiegende Anteil der Kinder entschied sich dabei für die hellhäutige Puppe, während der dunkelhäutigen Puppe negative Attribute zugeschrieben wurden. Die Hautfarbe der Kinder hatte dabei keinen Einfluss auf das Ergebnis.
Um die Entwicklung eines positiven Selbstbildes zu stärken und der Verfestigung von Vorurteilen entgegenzuwirken, ist es daher wichtig, Kindern Spielmaterialien zur Verfügung zu stellen, die die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft widerspiegeln. Dabei kann zwischen verschiedenen Arten unterschieden werden. So gehen diversity-berücksichtigende Spielzeuge lediglich in beschreibender Weise auf Diversitätsmerkmale ein, während bei diversity-gerechten Spielzeugen Vielfaltsaspekte „in wertschätzender und nichtstereotypisierender Weise“ (Waburg, 2018, S. 53) aufgegriffen werden.
Kriterien zur Auswahl vorurteilsbewusster Spielmaterialien
Bei der Beurteilung von Spielmaterialien auf ihren Diversitätsaspekt hin können Sie sich beispielsweise folgende Fragen stellen:
- Wird Diversität als Normalität dargestellt?
- Werden alle Figuren und Lebensformen gleichwertig dargestellt?
- Wird auf die Reproduktion von Klischees und Stereotypen verzichtet?
- Werden sowohl Ähnlichkeiten als auch Verschiedenheiten innerhalb und zwischen sozialen Gruppen aufgegriffen?
Bei der Auswahl diversitätssensibler Spielmaterialien hilft auch die Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung des ISTA. Sie gibt regelmäßig Empfehlungslisten heraus, in denen entsprechende Spielzeuge und Kinderbücher für verschiedene Altersstufen vorgestellt werden.
Das Thema Diversität im Spielzeug wird aktuell auch in der Ausstellung Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen aufgegriffen. Diese ist noch bis zum 30. April 2024 im Spielzeugmuseum in Nürnberg zu sehen.
Quellen und weiterführende Informationen
Heimlich, U. (2023): Einführung in die Spielpädagogik (4., aktualisierte Auflage). Stuttgart: UTB. https://doi.org/10.36198/9783838560632
Institut für den Situationsansatz (2018): Überlegungen beim Kauf von vorurteilsbewussten Spielmaterialien. https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2021/10/Checkliste_Spielmaterialien.pdf (13.03.2023)
Institut für den Situationsansatz (2022): Kinderwelten. Spielmaterialienliste Dezember 2022. https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2022/12/HR_Spielmaterialien_2022.pdf (13.03.2023)
Institut für den Situationsansatz (o. D.): Vorurteilsbewusste Kinderbücher.
https://situationsansatz.de/fachstelle-kinderwelten/kinderbuecher/ (13.03.2023)
Kafuta-Meyer, W. (2021): Diversity in Kindertageseinrichtungen im Rahmen angemessener Materialangebote – eine Sensibilisierung für die Soziale Arbeit (Bachelorthesis).
https://opus4.kobv.de/opus4-hs-duesseldorf/frontdoor/deliver/index/docId/3417/file/FBSK_Bachelorthesis_SoSe21_Kafuta-Meyer_Wiebke.pdf (12.03.2023)
Koné, G.; Macha, K. (2020): „Die Puppe sieht aus wie ich!“ (Fehlende) Vielfalt in Spielmaterialien Anregungen für eine diskriminierungssensible Praxis. In: V. Mehringer; W. Waburg (Hrsg.): Spielzeug, Spiele und Spielen: Aktuelle Studien und Konzepte. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 215-231.
https://doi.org/10.1007/978-3-658-29933-0_12
Pohl, G. (2014): Kindheit – aufs Spiel gesetzt: Vom Wert des Spielens für die Entwicklung des Kindes. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum.
http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-54316-6
Spielzeugmuseum Nürnberg (o. D.): Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen. https://museen.nuernberg.de/spielzeugmuseum/kalender-details/spielzeug-und-rassismus-2087 (13.03.2023)
Statistisches Bundesamt (2022a): Gut jede vierte Person in Deutschland hatte 2021 einen Migrationshintergrund. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_162_125.html (11.03.2023)
Statistisches Bundesamt (2022b): 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/PD22_259_227.html (11.03.2023)
Verband binationaler Familien und Partnerschaften (2015): Spielzeug-Positivliste.
https://www.verband-binationaler.de/fileadmin/user_upload/Spielzeugliste_Juli_2015.pdf (12.03.2023)
Waburg, W. (2018): Diversity im Spielzeug – wo ist sie und warum fehlt sie? Theoretische, empirische und pädagogische Annäherungen, ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management 3/1, 49-62. https://doi.org/10.3224/zdfm.v3i1.05
YouGov (2021): Homo-, bisexuell, Transgender oder non-binär? Die Spanier outen sich am häufigsten. https://yougov.de/topics/international/articles-reports/2021/09/08/homo-bisexuell-transgender-oder-non-binar-die-span (11.03.2023)