Hörbuchstimme im Fokus: Cathlen Gawlich über die Arbeit als Hörbuchsprecherin

Wie sieht eigentlich der Alltag einer Hörbuchsprecherin aus? Cathlen Gawlich ist Schauspielerin und Sprecherin und widmet sich mit Leidenschaft der darstellenden Kunst. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre Arbeit, ihre persönlichen Vorlieben beim Sprechen und die Herausforderungen ihrer Branche.
Die Leidenschaft zur darstellenden Kunst entwickelte sich bei der Künstlerin schon früh. So erzählt sie uns im Interview, dass sie als Kind schon auf dem Spielplatz Regie geführt hat. Mit 13 Jahren nimmt Gawlich am sogenannten “Babytest” für angehende Schauspieltalente teil und beginnt mit 18 ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen “Konrad Wolf‘. Seitdem war sie neben vielen weiteren Rollen unter anderem im Tatort zu sehen, ist die Stimme von Sandy aus “SpongeBob Schwammkopf” und sprach neben Hörbüchern auch Werbungen ein.
Auf die Frage, was das Hörbuchsprechen von anderen Schauspieltätigkeiten unterscheidet, zeigt uns Gawlich auf, dass sie auch beim Sprechen eine Rolle spielt. Dabei orientiert sie sich stets an der Zielgruppe des Textes. So versucht sie bei der Audiodeskription für Sehbehinderte mit ihrer Darstellung im Hintergrund zu bleiben und das Gesagte klar zu vermitteln. Bei Werken für Kinder blüht sie auf: “Bei einem Kinderhörspiel […] kann man mal so richtig dem Affen Zucker geben!”. Jedoch ist das nicht bei jedem Sprechenden so. Einige Zunftkollegen sprechen laut Gawlich Kindertexte eher sachlich ein.
“Ich habe den Anspruch, dass die Kinder vergessen, dass ihnen da jemand vorliest. Im besten Fall haben die Kinder beim Hören einen Film im Kopf.”
Beim Sprechen ist Cathlen Gawlich stets auf das aktuelle Werk fokussiert. Doch auch sie hat Vorlieben bei Sprecherrollen. Charaktere, die im Laufe des Werks älter werden, sind der Künstlerin dabei am liebsten. Begeistert erzählt sie uns vom Einsprechen von “City of Girls”, einem Erwachsenenroman, bei welchem sie der Protagonistin von der Zeit als Teenager bis ins hohe Alter von über 80 Jahren ihre Stimme leiht. Die charakterliche Entwicklung im Verlauf der Handlung darzustellen, ist es, was Gawlich dabei besonders begeistert.
Als Sprecherin ist Gawlich gefragt und viele Verlage kommen auf sie zu, da sie bei der geplanten Vertonung bereits an die Stimmkünstlerin denken. Gerade zum Start der Karriere ist das aber ganz anders. Angehenden Hörbuchsprecher*innen empfiehlt sie, eine Bandbreite an verschiedenen Textarten wie Sachtexten, Kindertexten oder Ausschnitten, die sich an Erwachsene richten, einzusprechen und sich mit diesen bei Verlagen zu bewerben. Da viele Verlage eine hohe Zahl an Bewerbern haben, ist es wichtig, mit etwas Besonderem hervorzustechen. Sollte den anfänglichen Versuchen der Erfolg fehlen, rät Gawlich, sich Rückmeldung von Verlagen oder Bekannten zu holen und sich die eigenen Aufnahmen anzuhören, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln.
“Ich halte Leute, die ich fürs Hörbuchsprechen coache, immer an, alles zu geben – Das sie sich bewusst sind, dass jedes Hörbuch eine neue Chance ist, dass man danach sagt: Woah! Was war das denn?”
Wer auf sich aufmerksam gemacht hat und das Interesse eines Verlags wecken konnte, darf sich auf die eigentliche Arbeit freuen. Doch wie läuft so ein Einsprechen ab? Gawlich erklärt uns, dass der Prozess mit dem Zusenden eines Abrisses der Handlung durch den Verlag beginnt. Daraufhin hat man die Entscheidung, ob man das Werk einsprechen möchte. Ist die Zusage erfolgt, erhält man die Sprechfassung vom Verlag und die Vorbereitung kann beginnen. Dabei ist vieles zu beachten: Das Werk muss gelesen, die Charaktere auf ihre Eigenschaften analysiert und der korrekte Umgang mit wichtigen Wendungen in der Handlung gefunden werden. Eine Menge Arbeit, bevor das Sprechen beginnt. Ein Arbeitstag im Studio geht für Cathlen Gawlich dabei von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr mit Pausen. Wichtig: Vor dem Sprechen muss man zwei Stunden wach sein, denn erst nach dieser Zeit ist die Stimme voll funktionstüchtig!
Perspektivisch betrachtet sie ihre Arbeit als Künstlerin mit Sorge. Sie berichtet uns, dass durch die neuen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz die Nachfrage nach kreativer Arbeit gesunken ist. Bereits jetzt kennt sie ehemalige Kollegen, die aufgrund dieser Entwicklung ihre Arbeit aufgeben mussten.
Die Arbeit als Hörbuchsprecherin begleitet Cathlen Gawlich seit vielen Jahren und liegt ihr am Herzen. Zur Weihnachtszeit war sie ehrenamtlich in Bildungseinrichtungen unterwegs und vermittelte einer neuen Generation die Relevanz des kreativen Schaffens. Letzten Endes entscheidet der Hörer, wie viel ihm die Kunst des Sprechens bedeutet.
Schon Gewusst?
Cathlen Gawlich liest auch: “Die kleine Ratte Kwiik macht stark: Weil ich anders bin”. Diese Lesung richtet sich an Kinder ab drei Jahren und wurde vom IfaK zum “Hörmedium des Monats Februar” gekürt.