Kindermedien- Wie Sprache die kindliche Wahrnehmung prägt
Kindermedien spielen eine wichtige Rolle bei der Formung junger Menschen und beeinflussen ihre Überzeugungen, Werte und Weltanschauungen. In den letzten Jahren wurde die Bedeutung einer genauen und integrativen Darstellung der Geschlechter in der Kinderunterhaltung immer stärker betont. Indem sie traditionelle Geschlechterstereotypen in Frage stellen und Vielfalt fördern, können Kindermedien eine integrativere und gerechtere Gesellschaft unterstützen.
Warum sollte geschlechtergerechte Sprache auch in Kindermedien verwendet werden?
Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen Unfall, bei dem beide verletzt werden. Sie werden in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein bekannter Chirurg arbeitet. Die Operation des Jungen wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“
Der Chirurg in der Geschichte ist eine Chirurgin. Doch, wenn zum ersten Mal das Wort „Chirurg“ fällt, denken die meisten an einen Mann. Der Junge könnte auch zwei Väter haben. Dennoch, zeigen dieses und andere Beispiele: Sprache hat einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und auf das, was wir uns vorstellen. Ursprünglich waren Frauen in der männlichen Form nicht mitgemeint. Die männliche Form stammt aus einer Zeit, in der Frauen viele Berufe nicht ergreifen durften (Genderdings, 2023).
Eine Studie der Freien Universität Berlin für die 591 Kinder von sechs bis zwölf befragt wurden, zeigt, wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (Ingenieurinnen und Ingenieure statt Ingenieure), schätzen vor allem Mädchen die Berufe als erreichbar ein. Die Studie zeigte außerdem, dass Kinder, denen die geschlechtergerechten Berufsbezeichnungen präsentiert wurden, sich eher zutrauten, einen „typisch männlichen“ Beruf zu ergreifen als Kinder, denen nur die männliche Form genannt wurde. Berufe, die als männlich bezeichnet wurden, wurden nach der geschlechtergerechten Bezeichnung als leichter erlernbar und weniger schwierig eingeschätzt. Dies könnte daran liegen, dass Kinder bereits im Grundschulalter gelernt haben, Aufgaben für Männer mit höherer Schwierigkeit zu assoziieren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass geschlechtergerechte Sprache die Zuversicht von Kindern verstärkt, in traditionell männlichen Berufen erfolgreich sein zu können“, so Bettina Hannover, Mitverantwortliche der Studie. „Mit der systematischen Verwendung solcher Sprachformen – zum Beispiel durch Lehrkräfte und Ausbildende – kann also ein Beitrag dazu geleistet werden, mehr junge Leute für eine Karriere in diesen Berufen zu motivieren.“ (Vervecken & Hannover, 2015).
Stereotype durchbrechen
In der Vergangenheit wurden in den Kindermedien häufig schädliche Geschlechterstereotypen aufrechterhalten, indem Jungen als stark und durchsetzungsfähig und Mädchen als fürsorglich und zart dargestellt wurden. Solche Stereotypen schränken jedoch das Verständnis der Kinder für ihr eigenes Potenzial ein und können dazu führen, dass sich die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im späteren Leben noch verstärken. Indem sie sich von diesen Stereotypen lösen, bieten moderne Kindermedien Kindern eine umfassendere Sicht auf Geschlechterrollen und -identitäten.
Von Geburt an wachsen Kinder mit stereotypen Geschlechterbildern auf. Neben den klassischen rosa und hellblauen Spielzeugen leisten auch Werbung und Medienangebote ihren Beitrag zur Verbreitung von Geschlechterklischees. Um die negative Konnotation der Weiblichkeit zu verändern, benötigt es neben der gendersensiblen Sprache daher auch eine Veränderung der Charaktere in Kindermedien. Auch auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in Kindermedien zu achten ist wichtig, um bestehende Stereotypen zu durchbrechen. Der öffentlich-rechtliche Kinderkanal von ARD und ZDF (KiKA), stellt sich seiner Verantwortung und auch die ZDF-Kindernachrichtensendung logo! zeigt, dass gendersensibler Journalismus für Kinder sehr gut funktionieren kann. Seit 2019 wird in beiden Sendern in Formaten für Kinder gegendert (Valeš, 2019).
Vielfältige und integrative Charaktere
Einer der wichtigsten Aspekte bei der Förderung einer positiven Geschlechterdarstellung in Kindermedien ist die Einbeziehung diverser Charaktere. Kinder mit unterschiedlichem Hintergrund müssen sich in den Sendungen, die sie sehen, und in den Büchern, die sie lesen, selbst wiederfinden. Dazu gehört auch, dass Protagonist*innen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Fähigkeiten und Geschlechtsidentitäten dargestellt werden. Durch die Darstellung eines breiten Spektrums von Charakteren tragen Kindermedien dazu bei, Vielfalt zu normalisieren und zu würdigen, und fördern so das Einfühlungsvermögen und das Verständnis des jungen Publikums.
Der KiKA hat eine Diversity-Checkliste erarbeitet, mit deren Hilfe die Redaktion und andere Medienschaffende sich stets hinterfragen können. Mit ihr wird geprüft ob vielfältige Charaktere gezeigt werden und ob bei Auswahl und Entwicklung auf Geschlecht, kulturelle oder ethnische Herkunft sowie auf Religion, realistische Körperproportionen, Behinderung, sexuelle Orientierung und Lebensform geachtet wurde ((Valeš, 2019). Die Studie Audiovisuelle Diversität aus dem Jahr 2020 wurde in Kooperation mit den vier größten deutschen TV-Gruppen (ARD, ZDF, Mediengruppe RTL Deutschland und ProSiebenSat1) erstmalig durchgeführt. Die Studie zeigt eindeutig, Männer erklären noch immer die Welt. Denn auf eine Frau kommen in allen Fernsehprogrammen zwei Männer. Die einzige Ausnahme sind Telenovelas und Daily Soaps. Diese sind repräsentativ für die tatsächliche Geschlechterverteilung in Deutschland, sprich ca. 51% Frauen und 49% Männer. Allerdings machen sie nur 3% aller Sendungen aus (Steinhofer, 2020).
Stärkung von Mädchen
Die Stärkung von Mädchen in Kindermedien ist ein entscheidender Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Die am häufigsten ausgewählte Eigenschaft für ein besonders tolles Mädchen ist, „schön/ hübsch“ zu sein. 55 % aller Befragten einer Studie des Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), wählten dies als eine der drei zentralen Eigenschaften. Mit deutlichem Abstand (42 %) folgt die Eigenschaft „nett/freundlich“. Weit abgeschlagen ist mit 35% die Eigenschaft „intelligent“, gefolgt von „lustig/witzig“ mit 28 %. Diese hohe Bedeutung von Schönheit und damit die Abhängigkeit von der Betrachtung und Wertschätzung durch andere ist wissenschaftlich gut belegt. Pierre Bourdieu formuliert: „Sie [die Frau] existiert zuallererst für und durch die Blicke der Anderen“ (Bourdieu, 2012, S. 117). Dass es für die Entwicklung von jungen Mädchen nicht förderlich ist, von klein auf unter einem Schönheitsideal leiden zu müssen, steht außer Frage. Starke und fähige weibliche Charaktere dienen als Vorbilder für junge Mädchen und inspirieren sie dazu, große Träume zu verwirklichen und ihren Leidenschaften nachzugehen. Diese Figuren können Wissenschaftlerinnen, Abenteurerinnen, Führungspersönlichkeiten oder alles sein, was sie werden wollen. Indem Mädchen mit starken Vorbildern konfrontiert werden, fördern die Kindermedien ihr Selbstvertrauen und ermutigen sie, gesellschaftliche Erwartungen zu hinterfragen (Götz & Eckhardt Rodriguez, 2017).
Neudefinition von Männlichkeit
Eine positive Darstellung der Geschlechter in Kindermedien beinhaltet auch eine Neudefinition von Männlichkeit. Die Idealvorstellung eines Mannes/Jungen wird in der Studie des IZI zu 52% mit „stark“ assoziiert. Stark sein ist ein zentrales Konzept der kritischen Männerforschung. Um seine Stärke zu bewahren, müssen Jungen schon früh damit aufhören, Gefühle zu zeigen. Dies ist eine Eigenschaft, die eher den Mädchen zugeschrieben wird und somit unpassend ist. Mit Einsetzen der Pubertät nehmen sechs von zehn Jungen dieses Ideal an. Bei Jungen sticht als Schönheitsideal vor allem die Körpergröße heraus. Dieses Ideal beeinflusst auch die körperliche Wahrnehmung der Jungen. Indem Kindermedien männliche Charaktere zeigen, die freundlich, sensibel und emotional intelligent sind, können die Medien schädliche Vorstellungen von toxischer Männlichkeit in Frage stellen. Indem wir Jungen beibringen, dass sie ihre Gefühle ausdrücken, fürsorglich sein und sich an Aktivitäten beteiligen können, die traditionell mit Mädchen assoziiert werden, brechen wir die restriktiven Geschlechternormen auf, die ihr volles Potenzial einschränken (Götz & Eckhardt Rodriguez, 2017).
Schlussfolgerung
Die Darstellung der Geschlechter in Kindermedien ist ein entscheidender Bestandteil der Förderung einer integrativen, aufgeschlossenen und geschlechtergerechten Gesellschaft. Indem man sich von Stereotypen löst, die Vielfalt fördert und sowohl Mädchen als auch Jungen stärkt, kann die Kinderunterhaltung von klein auf positive Einstellungen und Werte fördern. Es liegt in der Verantwortung der Ersteller*innen von Inhalten, der Eltern und der Gesellschaft als Ganzes, dafür zu sorgen, dass Kinder mit Medien in Berührung kommen, die das gesamte Spektrum der Geschlechteridentitäten widerspiegeln und würdigen und somit eine gerechtere und akzeptierende Welt für künftige Generationen fördern.
Quellen und weiterführende Informationen
Bourdieu, P. (2012): Die männliche Herrschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag
Freie Universität Berlin. (2015): Automechanikerinnen und Automechaniker – wie Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt. https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2015/fup_15_223-einfluss-geschlechtergerechte-sprache/index.html (05.07.2023)
Genderdings. (2023): “Gendern” & “Gendersprache”: Was soll das Ganze? https://genderdings.de/gender/gendern/ (05.07.2023)
Götz, M., & Eckhardt Rodriguez, A. (2017): Was macht eine tolle Frau oder einen tollen Mann aus? Eine Repräsentativbefragung von Kindern und Jugendlichen. https://izi.br.de/deutsch/publikation/televizion/30_2017_2/Goetz_Rodriguez-Was_macht_eine_tolle_Frau_oder_Mann.pdf (05.07.2023)
Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen. (2017):
TELEVIZION – GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IM (KINDER-)FERNSEHEN. https://izi.br.de/deutsch/publikation/televizion/30_2017_2.htm (05.07.2023)
Steinhofer, F. (2020): „Audiovisuelle Diversität?“. Malisa Stiftung. https://malisastiftung.org/studie-audiovisuelle-diversitaet/ (05.07.2023)
Valeš, K. (2019): Gegenderte Kindermedien? Na, logo! https://www.genderleicht.de/gendern-bei-kindermedien-kika-und-logo/ (05.07.2023)
Vervecken, D., & Hannover, B. (2015): Yes I Can! Social Psychology, 46(2), 76–92. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000229 (05.07.2023)