Kindermedien in öffentlichen Bibliotheken – ein Interview
Öffentliche Bibliotheken befinden sich jederzeit im direkten Kontakt zu jungen und jüngsten Medienkonsument*innen. Als lokale Vermittler von bildenden sowie Unterhaltungsmedien stehen sie vor der Aufgabe, die neuesten Trends und Entwicklungen auf dem Markt der Kindermedien zu kennen und diese ihren Kund*innen näherzubringen. Über Prozesse, Herausforderungen und Entwicklungen sprachen wir mit Frau Sorokin, Leiterin der Ortsbücherei Hochberg in Remseck am Neckar.
IfaK: Frau Sorokin, Sie sind sowohl als Leitung der Ortsbücherei Hochberg in Remseck am Neckar tätig als auch in der Mediathek von Remseck angestellt. In Ihrer Leitungsfunktion tätigen Sie eigenverantwortlich die Erwerbung auch im Bereich der Kindermedien. Wodurch werden Ihre Erwerbungsentscheidungen beeinflusst? Orientieren Sie sich beispielsweise an einem Erwerbungsprofil oder sind andere Einflussfaktoren wichtiger?
Sorokin: Zunächst stehen für mich konkrete Lesewünsche von Eltern oder Kindern an oberster Stelle. Sie werden immer erfüllt, sofern sie ansatzweise in den Bestand der Bibliothek passen. Weitere Impulse erhalte ich über Empfehlungen und Zusammenstellungen, die sehr hilfreich dabei sind, einen Überblick über den aktuellen Literaturmarkt zu erhalten. Ich orientiere mich zum Beispiel an der SPIEGEL-Bestsellerliste, aber auch die Websites von Buchhändlern helfen mir bei der Medienauswahl. Für uns Bibliotheken bietet natürlich auch die ekz (ekz.bibliotheksservice GmbH, Anm. d. Red.) einen guten Rezensionsdienst. Besonders bei der Betrachtung noch unbekannter Autor*innen nutze ich diesen sehr gerne, um mir einen Ersteindruck zu verschaffen.
Werke bekannter und renommierter Autor*innen bestelle ich darüber hinaus ebenfalls gerne, da diese häufig auch bei den Leser*innen einen Wiedererkennungswert haben. Das lässt sich dann auch an den Ausleihzahlen ablesen.
IfaK: Sie orientieren sich also nicht an einem festgelegten Erwerbungsprofil, sondern wählen die Medien persönlich aus?
S.: Nein, das stimmt. Ich wähle frei nach Bedarf, welche Medien gut in die Bibliothek passen würden. Wichtig ist ein guter Medienmix, der alle Zielgruppen zufriedenstellt. Kindermedien unterteile ich dabei anhand angegebener Altersempfehlungen in verschiedene Gruppen: Bilderbücher sind eher für Kleinkinder gedacht, Erstlesebücher sollen den schulischen Einstieg ins Lesen erleichtern und schließlich unterscheide ich noch zwischen Romanen für Grundschulkinder und der Jugendliteratur.
IfaK: Wir sprachen bisher hauptsächlich von Printmedien, allerdings bieten Sie sowohl in der Ortsbücherei Hochberg als auch in der Mediathek in Remseck am Neckar eine größere Auswahl an Kindermedien an. Können Sie dieses Angebot kurz erläutern? Werden manche Medienarten besonders gerne mitgenommen?
S.: Der Klassiker, das Buch, ist immer sehr gefragt. Eltern drängen sogar oftmals darauf, dass Kinder sich bei ihrem Besuch explizit Bücher aussuchen sollen. Nach wie vor sind aber auch die Hörspiele und -bücher sehr beliebt. Hör-CDs werden wie Kinder- und Jugendliteratur bei uns nach Altersgruppen eingeteilt, um den Nutzer*innen eine Empfehlung für die Zielgruppe an die Hand zu geben. Besonders bekannte Reihen wie beispielsweise die „Die drei ???“ werden aus unserem Bestand immer gut ausgeliehen.
Ein anderes, etwas neueres Medium, das wir anbieten, ist der sogenannte Tonie. Der Bestand an Tonies ist besonders in der Mediathek durchgehend aktuell, und bei mir in Hochberg leihen Nutzer*innen, die einen Tonie ausleihen, im Laufe der Zeit auch die restlichen verfügbaren aus. Die Tonies sind wirklich sehr beliebt bei Kindern sowie Eltern und Großeltern, deswegen werden wir bald sogar die zugehörigen Boxen ausleihbar machen, die bisher bei den Nutzer*innen selbst vorhanden sein mussten.
Auch Filme in Form von DVDs werden zwar immer noch entliehen, allerdings glaube ich zu beobachten, dass das langsam zurückgeht. Ich denke, durch die zahlreichen Möglichkeiten auf dem Streaming-Markt wird das Entleihen von physischen Filmträgern schlicht unwichtiger, immerhin können die meisten Familien ihre Wunschfilme über Zugänge auf Amazon Prime oder Netflix anschauen.
Ebenfalls im Bestand haben wir sogenannte Tiptoi-Bücher. Die zugehörigen Tiptoi-Stifte werden wir in der Mediathek auch bald ausleihbar machen. Mit den Stiften kann man entsprechende Schaltflächen in kompatiblen Büchern antippen, worauf der Stift dann über einen eingebauten Lautsprecher Informationen oder Geschichten ausgibt. Das kombiniert dann haptisches und auditives Erlebnis.
Exklusiv in der Mediathek werden auch Konsolenspiele angeboten, für die Anschaffung in der Ortsbücherei sind diese leider zu teuer. Besonders die Spiele für die Nintendo Switch sind sehr gefragt, da diese, wie ja auch die Konsole, sehr kindgerecht sind. An zweiter Stelle in den Ausleihzahlen stehen Spiele für die Playstation 4, während solche für die Xbox One am seltensten ausgeliehen werden.
IfaK: Wie handhaben Sie denn die Altersbeschränkungen bei diesen Spielen?
S.: Nun, bereits in der Katalogisierung tragen wir die Altersbeschränkung in den Titeldatensatz bei uns im Bibliothekssystem ein. Zusätzlich müssen Sie wissen, dass es bei uns zweierlei Arten von Bibliotheksausweisen gibt: einen für Kinder und einen für Erwachsene ab 18 Jahren. Im Kinderausweis, den ein Elternteil für das Kind beantragen muss, ist das Geburtsdatum hinterlegt. Sobald über einen Kinderausweis bei uns an der Theke dann ein Spiel ausgeliehen werden soll, für welches das Kind eigentlich noch nicht alt genug ist, erscheint bei uns eine Warnung diesbezüglich und die Ausleihe wird von uns verweigert – schließlich setzen wir uns als Bibliothek selbstverständlich nicht über Jugendschutzrichtlinien hinweg. Übrigens lassen sich Spiele im Falle einer unterschrittenen Altersbegrenzung natürlich auch nicht an unseren Selbstverbuchern ausleihen. Eine unbeschränkte Ausleihe ist also nur möglich, wenn die Eltern die Spiele auf einen unbeschränkten Bibliotheksausweis ausleihen.
IfaK: Wir hatten vorhin schon kurz über Medientrends und beliebte Medien gesprochen. Tonies und Videospiele für die Nintendo Switch wurden erwähnt. Wie sieht es denn bei den Printmedien aus, können Sie hier im Bereich der Kindermedien gewisse Trends beobachten?
S.: Klassische und bekannte Reihen sind durchgehend sehr beliebt, die „Die drei ???“ aber auch die „Harry Potter“-Reihe werden besonders in der Ferienzeit rege ausgeliehen. Zudem interessieren sich Kinder auch viel für Themenbücher zu anderen Medien, zum Beispiel führen wir comicähnliche Bücher zu LEGO oder auch Werke zu Minecraft. Alles mit Wiedererkennungswert ist einfach stark gefragt.
IfaK: Gefallen dieselben Medien denn auch den Eltern? Oder herrscht eine Diskrepanz zwischen dem, was die Eltern gerne für ihre Kinder wollen und dem, was die Kinder selbst in die Hand nehmen?
S.: Die Medienart betreffend ist die ganz klare Vorliebe der Eltern auf jeden Fall das Buch. Da werden die Kinder dann schon bei Betreten der Bibliothek oder Mediathek daran erinnert, nur eine gewisse Maximalzahl an DVDs oder CDs zu entleihen. Der Fokus des gemeinsamen Besuchs liegt in diesen Fällen eindeutig bei der Auswahl des Lesestoffs für die nächste Woche oder den nächsten Monat.
Die Kinder hingegen suchen sich meiner Beobachtung nach, sofern sie eine Konsole zuhause haben, auch immer gerne ein Spiel dafür aus. Eine klassische Ausleihe in der Mediathek besteht aus ein paar Büchern, einem Film oder einer CD und eventuell einem Konsolenspiel. Kleinere Kinder freuen sich auch immer sehr über Tonies, da trägt sicher auch die Spielzeugoptik dazu bei. Thematisch fällt mir persönlich nicht auf, dass es zwischen Eltern und Kindern irgendwelche Meinungsverschiedenheiten gäbe. Ich denke, die Eltern sind froh, wenn die Kinder sich für etwas begeistern können.
IfaK: Abschließend möchte ich Sie noch fragen, welche Programme oder Veranstaltungen zur Kindermedienbildung oder -präsentation Sie denn in Ortsbücherei und Mediathek anbieten?
S.: In allen Büchereien in Remseck laden wir Schulklassen der lokalen Grundschulen ein, um ihnen je nach Klassenstufe eine Einführung in die Bibliotheken zu geben. Bei diesen Besuchen lernen die Kinder die Bücherei sowie ihr Angebot verschiedener Medienarten spielerisch kennen. Bei mir in Hochberg sind die Veranstaltungen nach den Einschränkungen der Coronapandemie noch nicht wieder aufgenommen worden. Allerdings ist eine Rückkehr der Vorlesestunde geplant, in der ein ehrenamtlicher Mitarbeiter ein Kinderbuch oder zumindest Teile davon für Kinder vorliest. Dieses Angebot war immer sehr beliebt.
In der Mediathek hingegen findet regelmäßiges Vorlesen für Kinder ab vier Jahren statt. Ebenso wird monatlich die sogenannte Gaming League angeboten, bei der Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, ein vorausgewähltes Konsolenspiel aus unserem Bestand für eine begrenzte Zeit im Wechsel zu testen.
Zudem bieten wir für Tonie-Interessierte auch immer eine kurze, individuelle Einführung anhand einer Tonie-Box in unserem Mediatheksbestand an, sodass Eltern, Großeltern oder Verwandte sich einen Überblick über das Gerät und seine Funktionen machen können.
IfaK: Wir danken Ihnen für das Interview, Frau Sorokin.
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