Medienpreis LEOPOLD

Medienpreis LEOPOLD
Ein Interview mit der ehemaligen Projektleiterin und Jury-Mitglied Dr. Hendrike Rossel
Anmoderation:
“Gute Musik für Kinder” – Der Medienpreis LEOPOLD ist einer der wichtigsten Auszeichnungen für Kinder-Hörmedien und wurde vom Verband deutscher Musikschulen (VdM) ins Leben gerufen. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Ausgezeichnet werden besonders empfehlenswerte Medien für Kinder, die einen Fokus auf Musik legen. 2021 fand die 13. Preisverleihung statt. Die Mitglieder des Teams Hörmedien erfuhren von der ehemaligen Projektleiterin und Jury-Mitglied Dr. Hendrike Rossel unter anderem, was eine qualitativ hochwertige Produktion ausmacht. Nach über 26 Jahren verabschiedet sich Dr. Hendrike Rossel aus dem Medienpreis LEOPOLD und erhielt den Ehren-LEOPOLD.
Wir wollten Verlage und Produzenten belohnen, […] die nicht nur darauf ausgerichtet sind, kommerziell erfolgreich zu sein und im Mainstream anzukommen.
Medienpreis LEOPOLD – Ein Interview mit der ehemaligen Projektleiterin und Jury-Mitglied Dr. Hendrike Rossel
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, dieses Interview mit uns zu führen. Sie sind die Projektleiterin des Medienpreises LEOPOLD. Wie kamen Sie zum Medienpreis und welche Rolle haben Sie eingenommen?
Das Ganze begann Anfang der 90er Jahre, als ich beim Verband deutscher Musikschulen als Bildungsreferentin meine Arbeit aufnahm. Einer unserer Schulleiter kam auf uns zu und fragte, ob wir als VdM von der Bundesebene her auch eine Empfehlung herausgeben könnten, vergleichbar dem Jugendliteraturpreis. Denn von den Eltern in der Musikschule wurde immer wieder angefragt, welche CDs (bzw. Musikkassetten) sie ihren Kindern schenken könnten.
Ein weiterer Anlass war dann wenig später eine Bundesvorstandssitzung, bei der ein Mitglied des Gremiums eine Kassette mit musikalisch völlig entstellten Kinderliedern mitgebracht hat. Da hat der gesamte Bundesvorstand den Entschluss gefasst, Richtlinien für „Gute Musik für Kinder“ zu entwickeln. In regem Gedankenaustausch mit dem damaligen VdM-Vorsitzenden (und bis jetzt auch LEOPOLD-Juryvorsitzenden) Reinhart von Gutzeit habe ich dann ein Konzept für einen entsprechenden VdM-Medienpreis entwickelt. Ein speziell unter dieser Fragestellung neu gegründeter Beirat, auch mit Fachleuten außerhalb des VdM, unterstützte uns dabei.
1996 veröffentlichten wir dann die erste Ausschreibung zum Medienpreis LEOPOLD – Gute Musik für Kinder, die sich ausdrücklich an Verlage und Produzent*innen und nicht etwa einzelne Interpret*innen, Komponist*innen oder Textautor*innen wandte. Der Hintergrund war, dass wir ermutigen wollten, hochwertige Tonträger zu schaffen und darauf hinzuweisen, dass gerade für Kinder die höchste Qualität angemessen ist. Und wir wollten Verlage und Produzenten belohnen, wenn sie das Wagnis eingehen, etwas herauszugeben, was nicht nur darauf ausgerichtet ist, kommerziell erfolgreich zu sein und im Mainstream anzukommen. 1997 fand dann die erste Preisverleihung statt.
Wie können wir uns denn konkret den Prozess für die Vergabe des Medienpreises vorstellen?
Es beginnt mit der Ausschreibung, die wir im Herbst veröffentlichen, damit die Preisverleihung im Folgejahr ebenfalls im Herbst stattfinden kann. Das machen wir, um die Musikmedienempfehlungen vor dem großen „Weihnachtsgeschäft“ veröffentlichen zu können. In der Folge beginnen dann die Wettbewerbsteilnehmer*innen nach und nach ihre Produktionen einzusenden. Einsendeschluss ist jeweils Ende Januar. Aber bevor die Hauptjury mit den Bewertungen beginnen kann, findet zunächst eine Vorsortierung der im Schnitt 200-250 Einsendungen durch eine VdM-Vorjury statt.
Das Ergebnis wird dann der Hauptjury aus Fachleuten unterschiedlicher Bereiche des Musiklebens für einen ersten Onlinevoting-Prozess zur Verfügung gestellt. Hier bewerten je drei verschiedene Jurymitglieder, unabhängig voneinander, je eine der nach der Vorjury im Wettbewerb verbliebenen Produktionen. Bei zwei Ja-Stimmen hat eine CD oder DVD den Sprung in die Live-Hauptjurytagung als nächsten Schritt geschafft. Es gibt aber auch eine vollständige Wettbewerbsteilnehmer*innen Liste für die Hauptjury, damit dort alle sehen können, was sie nicht zu hören bekommen haben. Wenn sie der Meinung sind, dass eine Produktion zu Unrecht aussortiert wurde, können sie einfordern, dass sie doch noch diskutiert wird. Im Rahmen eines Hauptjurywochenendes stellen sich die Mitglieder dieses Gremiums dann die bis dahin „erfolgreichen“ Produktionen vor und diskutieren darüber. Im letzten Schritt findet ein geheimes Abstimmungsverfahren statt. Daraus ergibt sich dann eine Nominierungsliste, die auch nach außen kommuniziert wird – wer dann aber tatsächlich einen LEOPOLD überreicht bekommt, wird zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt gegeben. Im Vergleich zu den ersten Jahren werden heute deutlich mehr Preise verliehen, die Einsendungen wurden mit der Zeit qualitativ merklich hochwertiger.
Haben Sie mal mitbekommen, ob es für die Jurymitglieder sehr schwer ist, eine Entscheidung zu treffen, wer nominiert wird?
Wir haben in den Jurysitzungen teilweise hart diskutiert. Da flogen auch schon mal die Fetzen. Aber wir sind immer an den Punkt gekommen, dass wir mit dem Gefühl auseinander gehen konnten, ein gemeinsames Ergebnis zu haben, das wir im Anschluss gemeinsam tragen konnten. Auch wenn der ein oder andere von seiner festen Meinung ein wenig abrücken musste. Es war durchaus auch so, dass einzelne Wettbewerbsteilnehmer*innen mit ziemlich empörten Briefen ihren Unmut zum Ausdruck gebracht haben, nicht ausgewählt worden zu sein. Es ging uns aber immer darum, etwas zu empfehlen, von dem wir möchten, dass es an Kinderohren kommt. Dass es Kindern nicht schadet, dass es ihnen Freude an Musik vermittelt, dass sie vielleicht auch zu eigenen musikalischen Tun angeregt werden. Dass sie einfach eine gute Zeit damit verbringen können.
Den Medienpreis gibt es seit 1997. Uns würde interessieren, wie sich der Medienpreis LEOPOLD generell in den letzten 24 Jahren entwickelt hat.
Ursprünglich richtete sich unsere Ausschreibung ja nur an den CD-Sektor (in den ersten Jahren natürlich auch Musikkassetten). Recht bald haben wir dann DVDs mit musikalischen Themen dazu genommen. Allerdings haben wir in all den Jahren nur einmal eine DVD ausgezeichnet, die uns überzeugt hat. Wichtige Fragen, die dann auch als Kriterien für uns im CD-Bereich gelten, sind zum Beispiel: Wird da einfach nur eine Aufführung abgefilmt? Oder ist ein Konzept, speziell für das Medium dabei? Es gab z.B. immer wieder Musiktonträger, die einfach nur GEMA-freie klassische Musikstücke oder Pop-Konzerte aufgezeichnet haben, die hatten nie eine Chance.
Es muss also schon erkennbar sein, warum genau die Produktion ausgerechnet für Kinder geeignet ist. Schön sind beispielsweise mit Musik verwobene Geschichten oder etwas, das die Kinder anregt, mitzusingen, mitzutanzen. Bei der von uns seinerzeit ausgezeichneten DVD, handelte es sich um Mozarts “Zauberflöte”. Das Konzept in dieser DVD war, dass nicht einfach die Oper abgefilmt wurde und die Kinder sich diese ansehen sollten. Stattdessen hat der Sänger des Papageno durch diese Geschichte geführt und man konnte hinter die Kulissen blicken. Da wurde die Kostümwerkstatt gezeigt, man hat mal eine Probe mit dem Korrepetitor erlebt und so weiter. Kinder können dadurch wirklich sehen, was in einem Theater passiert, bevor das Ganze auf die Bühne kommt.
2001 haben wir dann eine Kinderjury dazugeholt. Fast alle Jurymitglieder haben zwar selbst Kinder und erleben mit, was Kinder in einem gewissen Alter gut finden oder was für sie günstig oder pädagogisch wertvoll ist, aber eigentlich sollte die Zielgruppe auch etwas dazu sagen dürfen. Aber wie ist das machbar, ohne die Kinder zu überfordern? Wir haben dann mit dem Musikzweig des Humboldt-Gymnasiums Köln einen tollen Partner gefunden. Grundlage für die Kinderjurywertung sind seither die CD-Produktionen unserer

Nominierungsliste, die wir im Original zu schicken. Die Musikfachleiterin der Schule führt dann mit einer ihrer Klassen ein sehr arbeitsaufwendiges Unterrichtsprojekt durch. Drei bis vier Schüler bilden pro CD eine Gruppe, die sich intensiv damit befasst und auch bewertet hat. Die Ergebnisse stellt jede Gruppe dann der ganzen Klasse vor. Auf der Basis der Präsentationen zu den CDs, werden diese dann nochmal von der ganzen Klasse abgestimmt und bewertet. Und aus der Zusammenführung dieser Wertungen ergibt sich der POLDI als Sonderpreis der Kinderjury. Angesichts der Pandemielage war allerdings 2021 ausnahmsweise dieses Verfahren in dieser Form nicht möglich. Hier sprangen altersgleiche Schülerinnen und Schüler der Rheinischen Musikschule der Stadt Köln mit einer Online-Wertung ein.
Mit der Kinderjury haben wir auch das Veranstaltungskonzept unserer Preisverleihung sehr erweitert. 1997 begannen wir zunächst auf der Klassik.Komm, haben dann aber sehr bald die Kooperation mit WDR 3 aufnehmen können und hatten somit das Kölner Funkhaus am Wallrafplatz zur Verfügung. Zunächst einmal im kleinen Sendesaal nur für die Preisträger und einige geladene Gäste. Es ist bis heute so, dass der Juryvorsitzende (mittlerweile im Tandem mit einem weiteren Jurymitglied) hier alle nominierten CDs in Wort und Ton vorstellt, mit einer sehr großen Hingabe und Wärme für die Produktion und in sehr aussagekräftiger Form, auch wenn aus Zeitgründen immer nur kurze Hörbeispiele möglich sind.
Mit der Kinderjury haben wir ein weiteres Live-Bühnenprogramm im Klaus-von Bismarck-Saal, dem großen Sendesaal, dazu genommen. Seither bieten wir vielen hundert, immer sehr begeisterten, Kindern aus Kölner Grundschulen am Vormittag unseres Preisverleihungstages das Erlebnis eines „Kinder-Erzählkonzertes“.
Wir haben relativ lange überlegt, ob wir unseren Medienpreis auch für Online-Formate öffnen sollen. Vor vier Jahren haben wir das erste Mal – allerdings noch mit wenig Erfolg – Webseiten und Online-Portale für Kinder, die musikalisch ausgerichtet sind, in unsere Ausschreibung mit aufgenommen. 2019 kamen Musikapps für Kinder dazu. Für diesen Sonderpreis LEOPOLD konnten wir dann auch die ersten Preisträger*innen ehren, wünschen uns aber noch deutlich mehr auszeichnungswürdige Online-Formate.
Aufgrund der Pandemie verbringen Kinder viel mehr Zeit vor dem Bildschirm, weswegen wir in diesem Jahr noch einen weiteren Schritt getan haben. Es haben sich sehr viele unserer Musikschulen seit Anfang des Lockdowns 2020 Gedanken gemacht, wie wir unsere Kinder und Jugendlichen trotzdem erreichen können. Wie können wir ihnen einen Ersatz für den Live-Unterricht in der Musikschule geben? Da gab es viele gute Ideen, und die wollten wir auch belohnen und ermuntern. So kam es zu unserem neuen Sonderpreis „Elementare Musikpraxis digital“ für beispielhafte Formen digital gestützten Lernens im frühkindlichen bis Grundschulbereich.
Also erkennt man auch, welche Trends es aktuell gibt und dass man da mit der Zeit gehen muss.
Wir versuchen es! Aber immer mit dem Hintergrund, dass wir uns bewusst sind, was wir verantworten möchten. Letztendlich müssen wir ja, damit der Preis auch für die Zielgruppe interessant bleibt, schauen, was die neuen Medien sind, was von den Kindern konsumiert wird, und was davon wir als besonders hochwertig empfehlen können.
Gibt es gerade einen aktuellen Trend bei musikalischen Kinderhörspielen, der sich beispielsweise bei der neuesten Preisverleihung gezeigt hat?
Viel auf dem Markt sind natürlich Geschichten mit Musik, weil sich das gut für das Medium CD umsetzen lässt. Wenn man eine schöne Geschichte hat, sei es ein traditionelles Märchen oder eine ganz erdachte Geschichte, dann ist das sehr spannend, auch für Komponisten dazu passende Musik zu schreiben. Oder aber auch, so wie es Edition SEE-IGEL zum Beispiel macht, zu schauen, welche bereits vorliegende Musik könnte genau zu dieser Geschichte passen? Da sind ja gerade beim SEE-IGEL oft Fundstücke dabei, die selbst Musikkenner noch nie vorher gehört haben. Und beim Hören kommt es einem dann so vor, als sei die Musik von Anfang an genau für diese Geschichte geschrieben worden. Das ist auch eine Kunst, das so zu machen.
Eine weitere zahlenmäßig recht große Kategorie umfasst immer schon Lieder für Kinder und Sing- und Tanzspiele. Bei der Kinderjury fällt uns auf, dass der POLDI sehr häufig für eine Geschichte mit Musik vergeben wird. In vielen Jahren war das “Ritter Rost”, weil dort sehr eingängige Musik und eine skurrile Geschichte verbunden sind, was Kindern sehr gut gefällt.
Mit der Edition SEE-IGEL hatten wir auch schon Kontakt, wir haben auch ein Interview mit der Frau Kleeberg (https://ifak-kindermedien.de/hoermedium/bonus-november-2021-gluecksengel/) geführt zum Glücksengel. Das war auch ein sehr spannendes Interview.
Das glaube ich. Da sieht man wirklich eine Produzentin, die nie drauf geschaut hat, wie viel sie wohl daran verdient und die immer wieder hervorragende Produktionen auf die Beine stellt. Wenn man unsere Preisträger*innen über die Jahre mal betrachtet, dann ist die Edition SEE-IGEL immer mit mindestens einem LEOPOLD dabei, weil das so eine konstante Qualität hat, mit viel Herzblut, Verstand und Liebe. Das ist vielleicht nicht immer für jeden was, aber die Begeisterung ist vor allem bei den Kindern immer wieder zu spüren.
Haben Sie eine besonders schöne Erinnerung, welche Sie mit dem Medienpreis LEOPOLD verbinden?
Es gibt so viele. Was mich immer sehr berührt hat zu sehen, war, dass in der Regel alle Preisträger*innen, von zum Teil sehr weit her, wie aus der Schweiz, und Österreich, auf eigene Kosten zu unseren Preisverleihungen gekommen sind. Damit sehen wir, wie wichtig ihnen das ist. Da sind viele dabei, die als Ein-Kopf-Unternehmen alles alleine stemmen, wo kein großer Verlag dahinter steht, und welche sich sehr über unsere Auszeichnung freuen. Das fand ich wirklich sehr berührend, jedes Mal. Das hat mir auch gezeigt, dass sich die Arbeit für diesen Preis wirklich lohnt.
Herzerwärmend ist auch immer, wenn die Kinder im Saal sitzen und Live-Musik erleben, für viele zum ersten Mal überhaupt. Gerade in diesem Jahr haben wir, weil wir das Publikum coronabedingt sehr reduzieren mussten, Klassen ausgewählt, wo die Schulen gesagt haben, dass es für die Kinder wichtig wäre, so etwas zu erleben. Zu sehen, wie sie danach glücklich hinausgehen, das gehört mit zu den schönsten Erlebnissen.
Auch die Arbeit der Kinderjury mitzuverfolgen, zu sehen, wie die sich da reingehängt haben und wie stolz sie waren, war besonders einprägsam. Ein Mädchen meinte mal im Interview: “Wir haben jetzt ein Geheimnis! Wir wissen, wer diesen Preis kriegt und das weiß sonst keiner auf der Welt!” Die Kinder durften dann auch immer auftreten im Live-Programm und ihren Preis, den POLDI, selbst übergeben. Da haben sich wunderschöne Szenen abgespielt zwischen den Preisträger*innen und diesen Kindern. Ich könnte immer weiter erzählen! Aber die Preisverleihungen waren immer der Höhepunkt, und auch die Arbeit in unserem Jury-Team. Daran werde ich mich für immer erinnern.
