Digitale Spiele zur Demokratiebildung bei Kindern und Jugendlichen
Über 60 % der sechs- bis 19-Jährigen spielen mindestens einmal in der Woche digitale Spiele an Computer, Konsole, Tablet oder Smartphone. Das zeigen die Ergebnisse der KIM- und JIM-Studie aus dem Jahr 2020. Damit sind digitale Spiele aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie verlieren dabei immer mehr ihr Image der „nutzlosen oder sogar gefährlichen Zeitverschwendung“ (Koenig, 2022). Vielmehr werden ihnen vielfältige Potenziale, unter anderem in der Demokratiebildung, zugeschrieben.
Was versteht man unter Demokratiebildung?
Knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen in Deutschland ist mit der Funktionsweise der deutschen Demokratie unzufrieden. Dies ergab eine aktuelle Befragung unter 14- bis 24-Jährigen im Auftrag der Vodafone Stiftung. 67 % der Befragten sind zudem davon überzeugt, insgesamt zu wenig Einfluss auf die deutsche Politik nehmen zu können. Das politische Selbstwirksamkeitsgefühl der jungen Erwachsenen nimmt dabei mit dem Grad der formalen Bildung ab.
Genau an diesem Punkt setzt Demokratiebildung an. Denn nur wer um seine verfassungsmäßigen Rechte und Möglichkeiten zur politischen Mitgestaltung weiß, kann diese auch nutzen. Demokratiebildung soll Heranwachsende zudem dazu befähigen, „politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen und Probleme kompetent zu beurteilen“ und „für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gerechtigkeit, wirtschaftliche Sicherheit und Frieden einzutreten“ (Kultusministerkonferenz, o. D.).
Eine zentrale Leitlinie, an der sich die Demokratiebildung in formalen Bildungskontexten in Deutschland seit 1970 orientiert, bietet der Beutelsbacher Konsens. Darin werden drei Grundprinzipien formuliert, welche für die Vermittlung von politischer Bildung in Deutschland maßgebend sind:
- Überwältigungsverbot: Es ist verboten, den Schüler*innen erwünschte Meinungen aufzuzwingen.
- Kontroversitätsgebot: Alle politisch diskutierten Positionen sollen abgebildet werden, sodass sich die Schüler*innen eine differenzierte persönliche Meinung bilden können.
- Schülerorientierung: Politische Bildungsmaßnahmen sollen Schüler*innen dazu befähigen, ihre eigenen Positionen in Bezug auf die politische Situation zu analysieren und ihre Möglichkeiten zur politischen Mitgestaltung zu nutzen.
Wie Demokratiebildung konkret im Unterricht umgesetzt werden kann, erklären wir anhand des Leitfadens Demokratiebildung des Kultusministeriums in diesem Beitrag.
Potenziale digitaler Spiele für die Demokratiebildung
Digitale Spiele bieten das Potenzial zur Vermittlung wichtiger Kompetenzen, die für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar sind. Für die Demokratiebildung eignen sich dabei nicht nur sogenannte Serious Games, also Spiele, die explizit zur Vermittlung von Lerninhalten konzipiert sind. Auch Spiele, die vornehmlich Unterhaltungszwecken dienen und im kommerziellen Handel erhältlich sind (Commercial Off-the-Shelf Games), können mit dem passenden didaktischen Konzept zur Demokratiebildung eingesetzt werden.
So gibt es in digitalen Spielen nie die eine richtige Lösung zur Erreichung des Spielziels. Vielmehr muss ständig zwischen unterschiedlichen Optionen abgewogen und verschiedene Handlungsmöglichkeiten bedacht werden. Dabei werden den Spielenden, wie bei der demokratischen Entscheidungsfindung auch, bisweilen schwierige Entscheidungen und Kompromisse abverlangt.
Darüber hinaus bieten digitale Spiele in einem geschützten Rahmen die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Positionen auseinanderzusetzen und sich auszuprobieren. Konsequenzen werden dabei spürbar, ohne dass reale negative Auswirkungen befürchtet werden müssen. „Das Spiel kann einen Freiraum schaffen, in dem wir uns wichtigen Themen stellen können, ohne sie ganz so wichtig zu nehmen, wie sie uns außerhalb des Spiels vielleicht sind“ (Koenig, 2022).
Nicht zuletzt verlangen digitale Spiele auch, sich mit Regeln und Autoritäten auseinanderzusetzen. Wer legt fest, unter welchen Bedingungen mein Handeln möglich ist? Bin ich mit diesen Bedingungen einverstanden? Wie kann ich sie möglicherweise zu meinen Gunsten verändern? Nicht nur im Spiel, sondern auch in der gelebten Demokratie werden wir immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert.
Grenzen
Im Hinblick auf die Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsens müssen bei digitalen Spielen grundsätzlich Einschränkungen zugunsten der Reduktion von Komplexität gemacht werden. So werden Konflikte häufig vereinfacht dargestellt und in Entscheidungssituationen nicht alle möglichen Handlungsoptionen aufgezeigt. Darüber hinaus kann es zu einer Beeinflussung der Spielenden kommen, indem z. B. einzelne Entscheidungen stärker belohnt werden als andere.
Unabdingbar für einen nachhaltigen Lernerfolg ist daher, dass eine kritische Nachbetrachtung erfolgt, in der das digitale Spiel an der Realität gemessen wird. Die Nachbesprechung sollte dabei über eine allgemeine formale Analyse des Spiels hinausgehen. Eine detaillierte Handlungsempfehlung zur allgemeinen und historisch-politischen Spielanalyse ist zum Beispiel im Leitfaden Digitale Spiele im Geschichtsunterricht & in der politischen Bildung von Florian Aumayr und Alexander Preisinger, Professoren am Institut für Geschichte an der Universität Wien, zu finden.
Fazit
Digitale Spiele gewinnen in der Demokratiebildung langsam mehr und mehr an Bedeutung, denn in Spielen können wichtige Kompetenzen für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft gelernt werden. Für die Verwendung digitaler Spiele in der Demokratiebildung spricht dabei insbesondere die Möglichkeit, sich im Spiel in verschiedene Rollen hineinversetzen zu können, bisweilen schwierige Entscheidungen treffen zu müssen und deren Konsequenzen in einem geschützten Rahmen erfahren zu können. Jedoch dürfen auch die Grenzen in Bezug auf die Umsetzung des Beutelsbacher Konsens nicht außer Acht gelassen werden. Mit der richtigen didaktischen Einbettung und einer kritischen Nachbetrachtung kann es aber gelingen, die negativen Aspekte zu minimieren und den Lernerfolg zu erhöhen. Einen Überblick über aktuelle digitale Spiele zum Thema Demokratiebildung mit pädagogischen Beurteilungen und Anregungen für die Einbettung in den Unterricht bietet das Internetportal Spielbar.de.
Quellen und weiterführende Informationen
Aumayr, F.; Preisinger, A. (2020): Digitale Spiele im Geschichtsunterricht und in der politischen Bildung. Wien: Edition polis. https://www.politik-lernen.at/dl/oMLpJMJKomlNKJqx4KJK/digitale_spiele (27.12.2022)
Bundeszentrale für politische Bildung (2011): Beutelsbacher Konsens.
https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/ (31.12.2022)
Czauderna, A.; Budke, A. (2021): Game Designer als Akteure der politischen Bildung. MedienPädagogik 38, 94–116. https://doi.org/10.21240/mpaed/38/2021.01.25.X
Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (o. D.): Serious Games – Spielerisch ernste Inhalte vermitteln. https://www.bildung.digital/artikel/serious-games-spielerisch-ernste-inhalte-vermitteln (01.01.2023)
Koenig, N. (2022): Digitale Spiele als Werkzeug der politischen Bildung und Demokratiearbeit. https://www.bpb.de/themen/kultur/digitale-spiele/504546/digitale-spiele-als-werkzeug-der-politischen-bildung-und-demokratiearbeit/ (31.12.2022)
Kultusministerkonferenz (o. D.): Demokratiebildung.
https://www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/weitere-unterrichtsinhalte-und-themen/demokratiebildung.html (01.01.2023)
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (2022): Demokratiebildung in der Schule.
https://www.lpb-bw.de/demokratiebildung-konzept (28.12.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2020): JIM-Studie 2020. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf (30.12.2022)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2021): KIM-Studie 2020. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/KIM/2020/KIM-Studie2020_WEB_final.pdf (28.12.2022)
Vodafone Stiftung Deutschland (2022): Jugendstudie: 86 Prozent der jungen Menschen in Deutschland machen sich Sorgen um ihre Zukunft.
https://www.vodafone-stiftung.de/jugendstudie-2022/ (27.12.2022)