Die Zukunft klassischer Kindermedienfiguren in der Gemeinfreiheit
Das erste Auftreten der berühmten Mickey Mouse im Zeichentrick-Kurzfilm Steamboat Willy, in dem sie einen Dampfschiffkapitän spielt, ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels beinahe 95 Jahre her. Mit der Erstveröffentlichung am 18. November 1928 und den aktuellen Urheberrechtsgesetzen der USA bedeutet dies, dass diese erste Version der weltberühmten Maus bereits ab dem 1. Januar 2024 in die Gemeinfreiheit übergeht. Doch nicht nur Mickey und Minnie stehen bald zur freien Verfügung – erstmalig in der menschlichen Geschichte können wir in den kommenden Jahren beobachten, wie zahllose Werke und Figuren der etablierten, modernen (Animations-)Filmindustrie frei nutzbar werden.
Die Berner Übereinkunft
Vor der Verabschiedung der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst im Jahr 1886 durch die ersten acht Ratifizierungsstaaten (Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Schweiz, Tunesien, Vereinigtes Königreich) war es üblich, dass Werke, die in einem Land veröffentlicht wurden, in einem anderen keinerlei urheberrechtlichen Schutz genossen. Erst durch diese internationale Vereinbarung wurden minimal einzuhaltende Schutzmechanismen für geistiges Eigentum in den unterzeichnenden Staaten definiert, welche diese in nationales Recht umsetzen mussten. Sie gibt klar vor, dass ausländische Werke bei der Veröffentlichung in einem Mitgliedstaat gleichem Urheberrechtsschutz unterstehen, wie die im Inland produzierten Werke. Hierdurch erhielten Künstler*innen und Autor*innen nun die Option, auch international rechtlich gegen unautorisierte Kopien und Veröffentlichungen ihrer Werke vorzugehen.
Die Übereinkunft, welche seitdem mehrmals überarbeitet und mittlerweile von 181 Staaten unterzeichnet wurde, erlaubt jedoch ausdrücklich striktere Urheberrechtsgesetze. Die Europäische Union beispielsweise hat sich auf eine einheitliche Regelung von einem Übergang geistigen Eigentums in die Gemeinfreiheit 70 Jahre nach dem Tod der urhebenden Person geeinigt.
Gemeinfreiheit – was bedeutet das?
In Deutschland setzt das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, auch Urheberrechtsgesetz oder kurz UrhG genannt, die Schutzfristen für Kunst und Literatur fest. In § 64 wird dabei die bereits genannte 70-Jahre-Frist ab dem Tod der urhebenden Person definiert. Gerechnet wird hierbei immer ab Beginn eines vollen Jahres; zum 1. Januar diesen Jahres (2023) sind also alle Werke von Urheber*innen mit Todesdatum im Jahr 1952 gemeinfrei geworden. Konkret bedeutet dies, dass solche Werke nicht mehr durch das Urheberrecht geschützt sind und Eigentum aller werden. Gemeinfreie Literatur kann von jedem kopiert oder abgeschrieben und verbreitet werden, eine gemeinfreie Figur darf in eigene Geschichten eingebaut und ein gemeinfreies Musikstück ohne weitere Einschränkungen vor jedem Publikum gespielt werden. All das ist bei gemeinfreien Werken kostenlos möglich. Im Englischen ist für Gemeinfreiheit der Begriff der Public Domain gängig.
Der Fall Disney
Das weltweit wohl bekannteste Medienunternehmen Disney, das ursprünglich als reines Animationsstudio im Jahr 1923 von den Disney-Brüdern gegründet wurde, erfand im frühen 20. Jahrhundert einige der bekanntesten sowie berühmtesten Figuren der Filmgeschichte. Neben Mickey erschienen in den folgenden Jahren auch beliebte Figuren wie Goofy (als Dippy Dog, 1932) und Donald Duck (1934). Nur kurz darauf brachte Disney den ersten Animationsspielfilm in die Kinos: Schneewittchen und die sieben Zwerge wurde 1937 veröffentlicht. Als Grundlage diente das Märchen von Schneewittchen, festgehalten von den Gebrüdern Grimm, deren Werke ihrerseits zu diesem Zeitpunkt bereits als gemeinfrei galten und somit kostenfrei von Disney adaptiert werden konnten.
Ohne die letzte Urheberrechtsreform der USA im Jahr 1998 wären sowohl das Mäusepaar in ihrer ersten Iteration als auch Donald, Goofy und Disneys Schneewittchen bereits in die Gemeinfreiheit übergegangen. Mit dieser Reform jedoch ist das US-amerikanische Urheberrecht (Copyright Law) so gestaltet, dass Werke, die für eine Firma erstellt wurden, erst 95 Jahre nach ihrer Veröffentlichung in die Public Domain übergehen. Daher ergibt sich, dass beispielsweise das von Disney gezeichnete Schneewittchen mit gelbem Rock, blauem Oberteil und roter Schleife im Haar erst 2032 in die Public Domain eintritt.
Mickey ist nicht gleich Mickey
Die äußerlichen Merkmale einer Figur sind hierbei dringend zu beachten. Während nächstes Jahr also Steamboat Willy sein 95-jähriges Jubiläum feiert, gilt gleiches nicht für die Mickey Mouse wie wir sie heute kennen. Tatsächlich wird lediglich die Gestaltung der Maus als schwarz-weißer Dampfschiffkapitän den Urheberrechtsschutz verlieren. Spätere Gestaltungen der Figur, wie beispielsweise die klassische schwarze Maus mit roter Hose, sind als separate Schöpfungen weiterhin rechtlich geschützt.
Darüber hinaus gilt die Gemeinfreiheit nicht für das Markenrecht. Während also das Äußerliche, beziehungsweise die Gestaltung einer Figur den urheberrechtlichen Schutz verlieren kann, erlischt das Markenrecht jedoch nicht, solange es vom Halter kontinuierlich verlängert wird. Da es sich bei dem kompletten Namen des Disney-Maskottchens um einen markenrechtlich geschützten Begriff handelt, ist die Verwendung desselben weiterhin lediglich unter Beachtung markenrechtlicher Einschränkungen erlaubt.
Powerman und Donald Quack
Nicht nur einige Figuren von Disney können bald von jedem genutzt werden. Auch Superman, der erstmals in der ersten Ausgabe von Action Comics No. 1 erschien, ist bald Teil der Public Domain. Da sein erstes Auftreten 1938 erfolgte, wird der in Rot und Blau gekleidete Blockbusterheld möglicherweise bereits in zehn Jahren in Geschichten, Filmen oder Serien auftauchen, die von Studios und Kreativen rund um die Welt erschaffen werden.
Noch früher werden die von Walt Disney und seinen Mitarbeiter*innen entworfenen Figuren in unabhängigen Filmen, Spielen und Geschichten zu verwenden sein. Ebenso ist ihr Erscheinen auf neuem Merchandise wie Klamotten oder Spielzeug zu erwarten. Denselben Namen dürfen Donald Duck und Superman dann vielleicht nicht tragen. Daher bleibt abzuwarten, ob uns stattdessen eine Flut von Geschichten über den heldenhaften Powerman oder die sprechende Ente Donald Quack bevorsteht.
Quellen und weiterführende Informationen
msemporium (o. D.): The Walt Disney Company.
https://www.msemporium.de/disney-portal/geschichte/geschichte-der-walt-disney-company (23.01.2023)
NZZ (2016, 5. August): Erster Superman-Comic teuer versteigert.
https://www.nzz.ch/panorama/auktion-in-texas-erster-superman-comic-teuer-versteigert-ld.109279 (24.01.2023)
Rechtsinformationssystem des Bundes (2023): Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Berner Übereinkunft (Berliner Fassung).
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001746 (24.01.2023)
Schäffer, J. (2023, 1. Januar): „Public Domain Day“: Ab 1. Januar 2023 sind endlich alle Sherlock Holmes Geschichten gemeinfrei!
https://jurios.de/2023/01/01/public-domain-day-ab-1-januar-2023-sind-endlich-alle-sherlock-holmes-geschichten-gemeinfrei/ (23.01.2023)
Shuler, S. (2022, 3. August): What does Mickey Mouse going into the public domain mean? https://thedisinsider.com/2022/08/03/what-does-mickey-mouse-going-into-the-public-domain-mean/ (23.01.2023)