Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel – ist dies in Deutschland bald Geschichte?
Bunte Farben, lächelnde Maskottchen auf Süßigkeitenverpackungen und leuchtende, flehende Kinderaugen: Der Gang durch den Supermarkt, vor allem im Kassenbereich, ist für viele Menschen mit Kindern schon lange eine Herausforderung. Das größte Problem dabei ist, dass Kinder nicht nur am Supermarktregal der zielgruppenfokussierten Ansprache ausgesetzt sind, sondern omnipräsent in den Kindermedien. Vor allem im Fernsehen und im Internet. Expert*innen fordern deshalb Regulierungen des an Kinder gerichteten Marketings für ungesunde Lebensmittel.
Deutsche Discounter kündigen neue Werbestrategien an
Jüngste Beispiele aus dem Januar 2023 zeigen: Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel tut sich bezüglich Kindermarketing mittlerweile etwas, das laut Expert*innen längst überfällig ist.
Lidl plant als erster Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland ab März 2023, an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel wie z. B. sehr zuckerhaltige Joghurts, Getränke oder auch Schokolade und andere Süßigkeiten zu unterlassen. Aktionsware sei davon allerdings ausgenommen. Der Discounter Aldi folgte dem Beispiel rasch und kündigte im Januar 2023 ebenfalls eine veränderte Werbestrategie zugunsten der Kindergesundheit an.
In der Vergangenheit setzte Deutschland eher auf freiwillige, aber wirkungslose Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie. Doch es zeigt sich: Eine gesündere Kindermarketing-Zukunft scheint in Bewegung zu kommen. Es könnten theoretisch bald einige politische Änderungen in Kraft treten. Weiter unten erläutern wir gleich genaueres hierzu. Denn die Ampel-Koalition ist zu diesem Thema momentan besonders gefragt.
Das Problem mit dem Kindermarketing
Zuerst stellt sich allerdings die Frage: Warum genau fordern Expert*innen Verbote bzw. Regulierungen im Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel?
Adipositas (Fettleibigkeit) wird bei Kindern ein immer ernstzunehmenderes Problem. Es besteht ein Kausalzusammenhang zu tödlichen Folgen, und die Lebensmittelindustrie wird genau für dieses schwerwiegende Ernährungs- und Gesundheitsproblem der Gesellschaft mitverantwortlich gemacht.
Mit ungesunden Lebensmitteln sind in diesem Rahmen vor allem solche gemeint, die einen zu hohen Fett-, Salz- oder Zuckergehalt aufweisen. Ein prominentes Beispiel für ein Kinderprodukt, das aufgrund seines hohen Zuckergehaltes öffentlich kritisiert wurde, ist die Kinder-Tomatensauce Bio des Unternehmens Zwergenwiese. Die Sauce erhielt 2019 den Negativpreis Goldener Windbeutel, der jährlich für die Werbelüge des Jahres vergeben wird. Das Unternehmen nahm den Preis allerdings an und versprach, sich zu bessern.
Kindermarketing im Internet und Fernsehen
Unter dem Projekttitel Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV erschien im März 2021 ein Projektbericht der Universität Hamburg. Finanziell unterstützt wurde das Forschungsprojekt unter anderem von der Deutschen Adipositas Gesellschaft, der Deutschen Diabetes Stiftung und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
Untersucht wurde in diesem Projekt das Ausmaß von Lebensmittelwerbung und Kindermarketing im Internet und im Fernsehen, verknüpft mit einer rechtspolitischen Empfehlung. Im Bericht ist anschaulich nachzulesen, welche Werbeformen es gibt und es wird auch beispielhaft erklärt, welche Charakteristika Kindermarketing aufweist. Beispiele dafür sind Comic-Charaktere, kostenlose Souvenirs zum Produkt oder sogar sogenannte Advergames. Das sind Spiele, in denen die beworbenen Produkte direkt vorkommen und von den Kindern auf diese Art besonders verinnerlicht werden.
Offener Brief an die Politik
Eben weil solche Werbungen einen besonderen Reiz für Kinder darstellen, ist ein Verbot bzw. eine Regulierung des Kindermarketings im Gespräch. Im November 2022 erschien zu diesem Thema ein offener Brief an die Parteivorsitzenden der SPD, GRÜNE und FDP. Ziel ist es, die Ampel-Regierung zur Handlung zu motivieren und Werbung für ungesunde Lebensmittel, die an Kinder gerichtet ist, zu restriktieren. Hierfür wird eine umfassende rechtliche Regelung gefordert. Denn die bisher im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigte, geplante Werbebeschränkung sei nicht ausreichend, um Kinder gründlich genug zu schützen.
Hinter dem Brief steht ein großes Bündnis rund um den englischen Starkoch Jamie Oliver. Dieser ist unter anderem auch für sein Programm Food Revolution bekannt und setzt sich dafür ein, Kinder über das Thema Ernährung aufzuklären. Weitere deutsche Organisationen, die sich in dem offenen Brief äußern, sind z. B. die Techniker Krankenkasse, die Deutsche Krebshilfe, die Deutsche Herzstiftung und viele mehr.
Als Grundlage für die politische Regelung werden die Nährwertempfehlungen (Nutrient Profile Model) der World Health Organization (WHO) genannt. Dieses Modell erleichtert die Entscheidung, ob Kindermarketing für Lebensmittel der jeweiligen Art erlaubt sein sollte, oder nicht. In der Kategorie Frühstückscerealien z. B. wird empfohlen, Kindermarketing zu verbieten, wenn das jeweilige Produkt pro 100 g mehr als 10 g Gesamtfett, 15 g Gesamtzucker und 1,6 g Salz enthält. Ein grundsätzliches Kindermarketing-Verbot wird u. a. für Fruchtsäfte und Smoothies sowie Eiscremeprodukte (darunter auch Frozen Yoghurt) empfohlen. Zum Beispiel mit Charakteren aus dem Disney-Film Die Eiskönigin verzierte Eiscreme wäre unter diesen Bedingungen bald in Deutschland verboten.
Politischer Ausblick
Es bleibt spannend, wann und wie die Ampel-Koalition auf den offenen Brief reagiert und wie sich die Gesetzgebung in Deutschland diesbezüglich genau ändert. Die SPD-Bundesfraktion äußerte sich in einer Pressemitteilung am 17.01.2023 bereits positiv zu den Plänen von Lidl und Aldi.
Wenn Sie sich bezüglich des Themas Kindermarketing im Internet und Fernsehen weiter informieren möchten, finden Sie hier im Projektbericht des Forschungsprojektes der Universität Hamburg weitere umfassende, spannende Informationen. Darunter befindet sich auch das Themengebiet Influencermarketing, das für Kinder bereits sehr relevant ist. Vor allem wenn Kinder dabei selbst zu Kidfluencer*innen werden, ist Vorsicht geboten.
Quellen und weiterführende Informationen
Arzberger, L. (2021): Studie zu Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im Internet und TV. https://bvpraevention.de/cms/index.asp?inst=newbv&snr=13347. (18.01.2023)
Effertz, T. (2021): Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel
in Internet und TV – Projektbericht.
https://www.bwl.uni-hamburg.de/irdw/dokumente/kindermarketing2021effertzunihh.pdf. (18.01.2023)
foodwatch et al. (2022): Gemeinsamer Appell an die Parteispitzen von SPD, GRÜNE und FDP:
Werbeschranken für Ungesundes – Kinder umfassend schützen!
https://www.foodwatch.org/fileadmin/-DE/Themen/Kinderernaehrung/Dokumente/Offener_Brief_Werbeschranken_fuer_Ungesundes.pdf. (18.01.2023)
foodwatch (2021): Marktstudie: Freiwillige Selbstregulierung der Lebensmittelindustrie bei Kindermarketing gescheitert – fast alle Produkte für Kinder ungesund.
https://www.foodwatch.org/de/pressemitteilungen/2021/marktstudie-freiwillige-selbstregulierung-der-lebensmittelindustrie-bei-kindermarketing-gescheitert-fast-alle-produkte-fuer-kinder-ungesund/. (18.01.2023)
foodwatch (2019): Zwergenwiese nimmt den Goldenen Windbeutel an – als erster Hersteller! https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2019/zwergenwiese-nimmt-den-goldenen-windbeutel-an-als-erster-hersteller/. (18.01.2023)
Freiwah, P. (2023): Lidl und Aldi: Supermärkte mit neuer Werbestrategie bei Kinderprodukten. https://www.merkur.de/verbraucher/lidl-aldi-werbung-kinder-gesunde-ernaehrung-produkte-sortiment-zucker-92026595.html. (18.01.2023)
Huljina, P. (2023): Lidl ändert Werbung für Kinder-Nahrung – und wird von Experten gelobt. https://www.merkur.de/verbraucher/lidl-werbung-neu-kinder-nahrung-essen-zucker-who-experte-92020726.html. (18.01.2023)
Liebrich, S. (2021): Aktion 24 Stunden Chips essen.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kinder-lebensmittelindustrie-werbung-1.5232633. (18.01.2023)
sofatutor.com (o. D.): Bunt verpackt und knallig vermarktet: Wie die Industrie unsere Kinder verführt. https://magazin.sofatutor.com/eltern/zucker-fett-farbstoff-bunt-verpackt-und-knallig-vermarktet-wie-industrie-unsere-kinder-verfuhrt/. (18.01.2023)
SPD-Bundestagsfraktion (2023): Kindermarketing für Ungesundes stoppen. https://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/kindermarketing-ungesundes-stoppen. (18.01.2023)
TED Conferences LLC (o. D.): Jamie Oliver launches a Food Revolution.
https://www.ted.com/participate/ted-prize/prize-winning-wishes/food-revolution. (18.01.2023)
Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (2022): Breites Bündnis um Starkoch Jamie Oliver fordert umfassenden Schutz von Kindern gegen Junkfood-Werbung.
https://www.vzbv.de/meldungen/breites-buendnis-um-starkoch-jamie-oliver-fordert-umfassenden-schutz-von-kindern-gegen. (18.01.2023)
WHO Regional Office for Europe (2015): Nutrient Profile Model. https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/270716/Nutrient-children_web-new.pdf. (18.01.2023)
WWF Deutschland (2022): Breites Bündnis um Starkoch Jamie Oliver fordert Schutz von Kindern gegen Junkfood-Werbung.
https://www.wwf.de/2022/november/breites-buendnis-fordert-schutz-von-kindern-gegen-junkfood-werbung. (18.01.2023)