Dialekte bei Kindern – Makel oder Mehrwert?
„Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ – mit diesem Slogan warb die baden-württembergische Landesregierung bis 2021 selbstbewusst wie ironisch für ihr Bundesland. Doch so verbreitet, wie es in der Werbekampagne suggeriert wird, sind Dialekte in Baden-Württemberg heute nicht mehr.
Was sind Dialekte?
Unter einem Dialekt, häufig auch als Mundart bezeichnet, versteht man eine „auf eine bestimmte Region begrenzte, fast ausschließlich muttersprachlich erworbene und nicht normierte Sprachform“ (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, o. D.). Diese unterscheidet sich von der Standardsprache, also der allgemein im öffentlichen Leben gebräuchlichen, normierten Form einer Sprache, auf allen Sprachebenen, wie beispielsweise in der Aussprache und im Satzbau.
Anders als in der Standardsprache werden Dialekte vor allem mündlich verwendet, sie können aber auch, wie in der Dialektliteratur, verschriftlicht werden. Dialekte sind dabei, wie jede andere Sprache auch, einem stetigen Wandel unterworfen. Dieser wird durch die Globalisierung und die damit verbundene gestiegene Mobilität noch gefördert.
Sprachwissenschaftler*innen unterscheiden heute 16 Dialektverbände in Deutschland. Zwei davon, Alemannisch und Fränkisch, werden in Baden-Württemberg gesprochen. Diese können wiederum in Untergruppen unterteilt werden. Beispielsweise ist die schwäbische Mundart eine Unterform des Alemannischen. Einen Überblick über die verschiedenen Dialekte in Baden-Württemberg inklusive Hörproben bietet der Sprachatlas Baden-Württemberg der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland.
Immer weniger Kinder schwätze
In Südwestdeutschland sind die Dialekte tendenziell auf dem Rückzug. Eine Studie des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen kam 2021 zu dem Ergebnis, dass Dialektsprechen unter Kindern in Baden-Württemberg nur noch wenig verbreitet ist. Demnach schwätze lediglich zwischen 11 und 15,3 Prozent der Erst- und Zweitklässler in baden-württembergischen Grundschulen. Befragt wurden etwa 13.600 Schüler*innen und über 705 Lehrkräfte.
„Viele Kinder bewegen sich heute sprachlich auf verschiedenen Ebenen zwischen dem alten Ortsdialekt und dem, was man allgemein für Hochdeutsch hält“, konstatiert Hubert Klausmann, Leiter des Forschungsprojekts (Südwestdeutsche Zeitung, 2022). Wie gebräuchlich ein Dialekt ist, ist dabei je nach Region unterschiedlich. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Dialekte in ländlichen Gebieten verbreiteter sind als in Städten.
Um dem Rückgang der Dialekte entgegenzuwirken, hat die baden-württembergische Landesregierung 2018 eine Dialektinitiative gestartet. Dabei soll die Dialektkompetenz insbesondere von Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Dazu ist die Politik gemäß der 2007 vereinbarten UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen auch verpflichtet.
Wenngleich Dialektsprechen also politisch gefördert wird, lehnen viele Eltern Mundart bei ihren Kindern ab. Zu groß ist die Angst vor negativen Auswirkungen, beispielsweise im späteren Berufsleben. Richtig ist, dass Dialekte in der deutschen Gesellschaft ein eher schlechtes Image haben. So gelten Dialektsprecher häufig als ungebildet und weniger intelligent. Dies sind jedoch ausschließlich gesellschaftliche Zuschreibungen und lassen sich nicht empirisch belegen. Viel mehr hat das Erlernen einer Mundart neben der Standardsprache Expert*innen zufolge positive Auswirkungen auf die Sprachkompetenz von Kindern und Jugendlichen.
Dialekte sind Türöffner zum Fremdsprachenlernen
Durch das Sprechen eines Dialekts werden Kindern die Unterschiede zur Standardsprache erst richtig bewusst. Dadurch verbessert sich das Sprachverständnis. Zudem gibt es für viele Dinge im Dialekt andere Begriffe als in der Standardsprache. Kinder, die mit innerer Zweisprachigkeit aufwachsen, wie es in der Fachsprache heißt, verfügen daher über einen größeren Wortschatz. Die Heranwachsenden sind so bereits damit vertraut, dass es zur Beschreibung einer Sache unterschiedliche Begriffe gibt. Beides erleichtert das Erlernen von Fremdsprachen. Der Effekt ist dabei umso größer, je mehr die Mundart von der Standardsprache abweicht. In diesem Beitrag stellen wir fünf Sprachlern-Apps vor, die Kinder beim Erlernen von Fremdsprachen unterstützen.
Nach Ansicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann kann Mundart sogar zu einem friedlicheren Miteinander beitragen. „Die hohe emotionale Kraft des Dialekts, so meine Hoffnung, kann dazu beitragen, Debatten friedlicher zu führen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.“ (Staatsministerium Baden-Württemberg, o. D.).
Kindermedien mit südwestdeutschen Dialekten
Aber wie können Kinder zum Dialektsprechen animiert werden? Entscheidend sei die Einstellung der erwachsenen Bezugspersonen, wie zum Beispiel von Eltern und Lehrkräften, so Dialektforscher Klausmann. Stünden sie dem Dialekt positiv gegenüber, würden auch die Kinder mehr Mundart sprechen. Am einfachsten ist dies natürlich, wenn die Erwachsenen selbst Dialekt sprechen. Aber auch mit Büchern und anderen Medien können Kindern Dialekte nähergebracht werden.
Bei einem Blick ins Internet fällt einem schnell auf: Das Angebot an Kindermedien mit südwestdeutschen Dialekten ist überschaubar. Fündig wird man aber beispielsweise beim Verlag Edition Tintenfaß. Der Verlag bietet auf seiner Website verschiedene Kinderbücher, wie Max und Moritz, Der Kleine Prinz und Oh, wie schön ist Panama in verschiedenen Dialekten an. Das Verlagsangebot lässt sich nach Sprachgruppen filtern, darunter Badisch, Alemannisch und Schwäbisch.
Die schwäbische Mundart kann Kindern auch mit dem Buch Marie und ihre Abenteuer. Subber Gschichtla zum Lacha und Nachdenka von Marion Kinzig nähergebracht werden. In 39 Geschichten können Kinder die Erlebnisse – und jede Menge Unfug – von der siebenjährigen Marie miterleben. Das Buch ist 2018 erschienen, die Geschichten spielen aber in den 70er-Jahren. Sie werden in gedruckter Form, als E-Book und auch als Hörbuch angeboten.
Schon die Kleinsten werden mit Schwäbisch fürs gloi Buddsale von Gaby van Emmerich an den süddeutschen Dialekt herangeführt. In dem Bildwörterbuch werden typisch schwäbische Begriffe vorgestellt. Die wohl bekanntesten schwäbischen Werbebotschafter sind aber die Geschichten rund um die Zeichentrickfiguren Äffle und Pferdle, welche von Filmemacher Armin Lang erfunden wurden. Sie wurden 1960 zum ersten Mal als kleine Einspielfilme zur Auflockerung der Werbepausen im SWR (damals SDR) ausgestrahlt. Bis heute erfreuen sich Äffle und Pferdle bei Groß und Klein großer Beliebtheit. Besuchen kann man die beiden auf ihrer offiziellen Seite im Internet. Dort findet man auch eine Vielzahl der Clips sowie Bücher und andere Merchandise-Artikel. Um es in den Worten der beiden Kultfiguren zu sagen: „Das isch, was man haben muuuss!“
Quellen und weiterführende Informationen
Blaß, S. (2016): Sprachbegabte oder Dorfdeppen? https://www.t-online.de/leben/familie/schulkind-und-jugendliche/id_47445690/kinder-mit-dialekt-sprachbegabte-oder-dorfdeppen-.html (17.04.2023)
Der Spiegel (2023): Schulkinder in Baden-Württemberg sollen mehr schwätze. https://www.spiegel.de/panorama/bildung/dialekte-in-den-schulen-schueler-sollen-in-baden-wuerttemberg-mehr-schwaetze-a-d01e5f5f-656d-4925-86d0-51897d811bab (17.04.2023)
Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (o. D.): Dialekt, der. https://www.dwds.de/wb/Dialekt (08.05.2023)
Duden (o. D.): Standardsprache, die. https://www.duden.de/rechtschreibung/Standardsprache (08.05.2023)
Heidenheimer Zeitung (2023): Schwäbisch fürs gloi Buddsale. https://laendleshop.de/produkt/schwaebisch-fuers-gloi-buddsale/ (27.04.2023)
Landesbildungsserver Baden-Württemberg (o. D.): Dialekt in der Schule. https://www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/gesellschaftswissenschaftliche-und-philosophische-faecher/landeskunde-landesgeschichte/module/epochen/deutsch/mundarten (17.04.2023)
LANG-FILM (2020a): Willkommen beim Äffle & Pferdle! https://www.aeffleundpferdle.de/ (28.04.2023)
LANG-FILM (2020b): Gschichte. https://www.aeffleundpferdle.de/geschichte (28.04.2023)
Staatsministerium Baden-Württemberg (2021): Baden-Württemberg ist „THE LÄND“. https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/baden-wuerttemberg-ist-the-laend/ (23.04.2023)
Staatsministerium Baden-Württemberg (o. D.): Dialekte. https://www.baden-wuerttemberg.de/de/unser-land/traditionen/mundarten (17.04.2023)
Stukenberg, T. (2015): Freindlich samma! Aber deppert? https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/image-von-dialekten-mia-san-nett-aber-deppert-a-1030038.html (27.04.2023)
Süddeutsche Zeitung (2022): Kinder sprechen kaum noch Dialekt: Vorbilder sind gefragt https://www.sueddeutsche.de/leben/sprache-tuebingen-kinder-sprechen-kaum-noch-dialekt-vorbilder-sind-gefragt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220626-99-809152 (23.04.2023)
UNESCO (2005): Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/2005_Schutz_und_die_F%C3%B6rderung_der_Vielfalt_kultureller_Ausdrucksformen_0.pdf (26.04.2023)Verlag Edition Tintenfaß (o. D.): Unsere Bücher. https://editiontintenfass.de/de/catalog (27.04.2023)