Queerness – Repräsentation von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Kinderbüchern und warum sie wichtig ist
Unsere Gesellschaft entwickelt sich immer toleranter gegenüber Diversität und vielfältigen sozialen Gruppen. Ebenso zeigen Kinderbücher langsam einen Wandel, indem sie mehr auf das Thema Diversität und Vielfalt eingehen. Neben der gendergerechten Sprache, wie in unserem Artikel: „Kindermedien – Wie Sprache die kindliche Wahrnehmung prägt“ wurde in den letzten 18 Jahren ein deutlicher Anstieg von Veröffentlichungen queerer Literatur für Kinder und Jugendliche beobachtet. Diese ist seit der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe 2017 ersichtlich, wodurch vermehrt gleichgeschlechtliche Paare sowie Eltern in Kinderbüchern vertreten sind. Allerdings gibt es hierbei einige Probleme bezüglich der Repräsentation, als auch die Tatsache, dass dieses Thema tabuisiert wird. Im Weiteren kommt es zum Vorwurf einer angeblichen Frühsexualisierung der Kinder.
Definition von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt
Bevor auf die Relevanz der Repräsentation von queeren Menschen eingegangen wird, definieren wir die Begriffe geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Unter sexueller Vielfalt wird verstanden, dass Menschen eine unterschiedliche sexuelle Orientierung haben, beispielsweise die Homosexualität, Bisexualität, Asexualität, Heterosexualität und Pansexualität. Hierbei geht es nicht um Sexpraktiken, sondern darum, zu welchem Geschlecht sich eine Person hingezogen fühlt. Es kommt oft vor, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als dasselbe verstanden werden, was nicht der Fall ist. Bei geschlechtlicher Vielfalt handelt es sich um die Geschlechtsidentität, mit der sich ein Mensch agnosziert (Genderdings 2023).
Ist das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt nicht zu früh für ein Kind?
Wie bereits erwähnt, befindet sich das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in einem kritischen Bereich. Doch ist es falsch, in der frühkindlichen Entwicklung von Kindern auf dieses Thema einzugehen? Es wird davon ausgegangen, dass Kinder erst in der Pubertät mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden sollen, da angenommen wird, dass Sexualität allein mit der Fortpflanzungsfähigkeit verbunden ist (Pohlkamp /Rosenberger 2017, S. 19; vgl. Sielert 2015, S. 97ff). Jedoch gibt es große Unterschiede zur Sexualität eines Kindes und der eines Erwachsenen. Die kindliche Sexualität ist hauptsächlich spielerisch und spontan und nicht auf zukünftige Handlungen fixiert. Zudem umfasst sie einen Wunsch nach Geborgenheit und Nähe (Pohlkamp /Rosenberger 2017, S.18). Hinzu kommt, dass kindliche Sexualität sich eher auf das Erfahren und Erleben des eigenen Körpers bezieht. Im Gegensatz dazu ist die Erwachsenensexualität gezielt, absichtsvoll und beziehungsorientiert mit klaren Bezug zur Handlung von Sexualität (Pohlkamp /Rosenberger 2017, S.18; vgl. edb). Die kindliche Sexualität beruht auf der Neugier und Unbefangenheit und gehört zur Persönlichkeitsentwicklung jedes Kindes dazu. Diese Unterscheidung bietet eine klare Grundlage der Elementarpädagogik. Sie ermöglicht Kindern eine altersgemäße Begleitung, im Kontext der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt. Eine altersgerechte Aufklärung und Ermutigung über dieses Thema sind wichtig. Dadurch lernen Kinder, wie sie mit Transidentitäten, Homosexualität und weiteren Formen der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt, sowie heterosexuellen Erfahrungen in ihrem Umfeld umgehen sollen (Pohlkamp /Rosenberger 2017, S. 19). Somit ist klar, dass es nicht zu früh ist, mit Kindern über dieses Thema zu sprechen oder ihnen Kinderbücher mit LSBTIQ und LGBTQ+-Charakteren und Inhalten vorzulesen.
Wieso ist Repräsentation von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt wichtig für Kinder?
Leider kann aktuell nicht genau nachgewiesen werden, wie sich die Anzahl von Regenbogenfamilien in Deutschland verhält. Jedoch wurde auf Grundlage einer Studie des Statistischen Bundesamtes aus 2016 belegt, dass 10,5% der deutschen Haushalte Regenbogenfamilien sind. Kinder aus solchen Familienverhältnissen werden von ihrem sozialen Umfeld häufig nicht als gleichwertig akzeptiert. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie keine Vorstellung von Geschlechterrollen haben. Allerdings haben Studien ergeben, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien sich selbst ebenso häufig mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren und entsprechend häufig vom anderen Geschlecht angezogen fühlen, wie gleichaltrige aus heterosexuellen Familien (Bildung, B. F. P. 2021; Fedewa et al. 2015). Davon abgesehen ist es wichtig, dass Kinder sowohl aus diesen als auch aus heterogenen Haushalten über diese Thematik aufgeklärt werden, um eine höhere Toleranz zu schaffen. Es ist sehr bedeutsam, Kindern im frühen Alter vielfältige Lebensformen und soziale Existenzweisen näherzubringen, um dessen Entwicklung positiv zu fördern.
Die Wirkung von Geschichten auf Kinder
Die Geschichten in Kinderbüchern sollen Kindern mit den dargestellten Figuren Vorbilder bieten und Verhaltensmodelle zur kindlichen Lebensbewältigung aufzeigen. Dies gilt nicht ausschließlich für individuelle Herausforderungen in ihrer Umwelt, sondern auch für gesellschaftliche Erwartungen des Zusammenlebens (Rodler 2022, Seite 15; vgl. Hartmann-Winkler 1970, S. 113). In Kindergeschichten bezieht sich die Handlung hauptsächlich auf die Lösung eines Konfliktes, welche die Hauptfigur selbst zu lösen versucht. Dies stellt eine Unterstützung für Kinder in herausfordernden Lebenssituationen dar (Rodler 2022, S.13). Bei der Verarbeitung von Büchern erkennt sich ein Kind oftmals in der Hauptfigur der Handlung wieder. Die Identifikation mit anderen Menschen oder Charakteren wird in den ersten Lebensjahren eines Kindes als bedeutender Prozess in der Persönlichkeitsentwicklung gesehen (Rodler 2022, S.16; vgl. Hartmann-Winkler 1970, S. 93, 97).
Heutzutage sind vielfältige Lebensweisen immer sichtbarer und im häufigen Diskurs der sozialen Gesellschaft. Unsicherheiten im Umgang gegenüber intergeschlechtlichen, transgeschlechtlichen oder transidenten Kindern, welche sich nicht entsprechend den stereotypischen Normen ihres biologischen Geschlechts kleiden und verhalten, können dazu führen, dass sie bereits viel zu früh eingeschränkt werden. Dies wirkt sich negativ auf ihre Persönlichkeitsentwicklung aus (Rosenberger 2017; vgl. Kugler/ Nordt, 2015, S.16). Trotz dessen ist die Medienwirkung auf Kinder, laut Forschung von verschiedenen Faktoren abhängig. Hierbei spielen intrapersonale Faktoren wie Bedürfnisse, Meinungen und kindliche Erfahrungen eine Rolle. Zusätzlich können die Geschichten je nach sozialer Gruppe, in welche das Kind eingebunden ist, anders aufgenommen werden (Rodler 2022, S.18; vgl. Jäckel 2011, S.83).
Es beginnt mit der richtigen Darstellung von geschlechtlicher und sexuellen Vielfalt
Wie bereits erwähnt, haben Kinderbücher einen besonderen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung und Wahrnehmung der kindlichen Umwelt. Es können zwar nicht alle Themen der Realität entsprechend dargestellt werden, allerdings ist es bei der Repräsentation von Queerness nochmal eine schwierigere Angelegenheit. In den Medien haben Menschen aus der LGBTQ*-Community allgemein das Problem, dass diese homonormativ repräsentiert werden. Zudem besteht die Gefahr, dass das „anders sein“ zur gesellschaftlichen Norm besonders unterstrichen wird, wie z. B. „Du bist anders als wir, aber du bist trotzdem in Ordnung.“, „Du hast zwei Mütter, aber wir mögen dich trotzdem.“ oder „Du bist ein Mädchen, das sich wie ein Junge kleidet und benimmt, was falsch ist, aber wir akzeptieren dich trotzdem.“. Die Kinderbuchexpertin Elizabeth Eggenberger erzählt in einem Interview des Mannschaft Magazins, dass es wichtig ist, dass dieses „anders sein“ nicht hervorgehoben wird. Es soll eher auf die Gemeinsamkeiten von Charakteren mit verschiedener geschlechtlicher und sexueller Orientierung eingegangen werden, da jedes Kind auf seine persönliche Art anders ist.
Sie nennt das Bilderbuch „Luzie Libero und der süsse Onkel“ als ein gutes Beispiel von queerer Repräsentation. Es handelt von einem Mädchen namens Luzie, die gerne Fußball spielt und es liebt, Zeit mit ihrem Onkel zu verbringen, welcher in einer romantischen Beziehung mit einem Mann ist. In der Geschichte geht es hauptsächlich um Eifersucht und eignet sich besonders gut zum Vorlesen, ohne das „anders sein“ bzw. die sexuelle Orientierung des Onkels hervorstechen zu lassen.
Fazit
Schlussendlich lässt sich sagen, dass Inhalte von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sich nicht negativ auf Kinder auswirken. Sie ermöglichen ihnen einen Einblick in vielfältige Lebensweisen und Ansichten, die ihre Persönlichkeitsentwicklung fördern. Ein entscheidender Faktor ist, dass jedes Kind individuell in seiner Persönlichkeit, Meinung und Entwicklung ist. Das Thema muss altersgerecht und auf diese Merkmale zugeschnitten vermittelt werden. Dadurch erlangen Kinder bereits im frühen Alter ein besseres Bewusstsein für vielfältige Geschlechter- und Sexualidentitäten. Des Weiteren gibt es in der queeren Gemeinschaft sowohl gegenwärtig als auch zukünftig eine höhere Chance auf mehr Akzeptanz und Toleranz in unserer Gesellschaft. Allerdings kommt es darauf an, ob die Erziehenden geschlechtliche und sexuelle Vielfalt aufgrund ihrer Kultur oder Ideale in ihrem Haushalt tolerieren.
Die Forschung sollte auf jeden Fall die Chance ergreifen, sich mit der Repräsentation von Queerness in der Kinderliteratur intensiver auseinanderzusetzen, da es aktuell keine genauen Befunde zu deren Einflüssen auf Kinder gibt.
Quellen und weiterführende Informationen
Bildung, B. F. P. (2021). Regenbogenfamilien in Deutschland. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/homosexualitaet/269064/regenbogenfamilien-in-deutschland/ (30.08.2023)
Genderdings. (2023). Sexuelle Orientierung: Woher weiß ich, was ich bin? | Genderdings. https://genderdings.de/sexualitaet-und-liebe/sexuelle-vielfalt/ (30.08.2023)
Pohlkamp, I. & Rosenberger, K. (2018) Akzeptanz für Vielfalt von klein auf! Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Kinderbüchern. Ein Rezensionsband für pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten. Waldschlösschen Verlag. 16. 14-20. https://www.waldschloesschen.org/de/publikationdetail-waldschloesschen-verlag/akzeptanz-fuer-vielfalt-von-klein-auf-sexuelle-und-geschlechtliche-vielfalt-in-kinderbuechern-ein-rezensionsband-fuer-paedagogis.html (04.08.2023)
Rodler, H. (2022) Die Bedeutung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Kinderbüchern. Bachelorarbeit, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften, Soziale Arbeit. Leipzig. Seite 15-18. https://htwk-leipzig.qucosa.de/api/qucosa%3A83403/attachment/ATT-0/ (15.06.2023)
Rosenberger, K. (2017) Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Eine begriffliche Einführung in die Verschiedenheit sexueller Orientierungen und Identitäten. Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung. https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=718:sexuelle-und-geschlechtliche-vielfalt&catid=46 (22.08.2023)
Stevens, S. (2022) Kids, Culture, and Queerness: The Progression of LGBTQ+ Representation in Children’s Media. Bachelorarbeit. Mahurin Honors College Capstone Experience/Thesis Projects. Paper 987. 10-12. https://digitalcommons.wku.edu/stu_hon_theses/987 (20.06.2023)
Zwygart, G. (2022). In Kinderbüchern sollte das Anderssein nicht unterstrichen werden. Mannschaft. https://mannschaft.com/in-kinderbuechern-sollte-das-anderssein-nicht-unterstrichen-werden/ (14.06.2023)