Kindermedien in BRD und DDR
Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg – gespalten zwischen Ost und West. Zwei unterschiedliche Systeme und Ideologien formen zwei Gesellschaften, die sich in gewissen Belangen ähneln und in anderen stark unterscheiden. Als einflussreiche Form der frühen Bildung waren Kindermedien damals wie heute von großer Bedeutung für die Vermittlung von gesellschaftlichen Idealen, Werten und Normen. Analysen zur Kindermedienlandschaft in BRD und DDR sind somit eine Möglichkeit, einen Einblick in Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten von Wertesystemen in beiden Staaten zu erlangen. Wie sahen sie also aus, die Kindermedien in den beiden deutschen Staaten des 20. Jahrhunderts?
Kindermedien in der BRD
Die westdeutsche Kinderfilmbranche thematisierte in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten noch beinahe exklusiv den Themenkreis der Märchen (Wiedemann, 2017, S. 180). Grund hierfür waren nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Ursachen. Vorbehalte gegenüber dem filmischen Medium sowie eine grundsätzliche Ablehnung der Verfilmung von Märchen mit lebenden Darstellern (Wolf, 1969, nach Schneider, 1982, S. 27 f.) hielten die Entwicklung einer modernen Kinderfilmbranche zurück. Die Literaturbranche hingegen wurde im Nachgang des zweiten Weltkriegs auch durch eine Welle von hauptsächlich englischsprachigen Klassikern geprägt, die übersetzt auf den Markt gebracht wurden. Peter Pan (Barrie, 1904), Dr. Dolittle (Lofting, 1920) oder Winnie the Pooh (Milne, 1926) konnten zum ersten Mal von deutschen Kindern gelesen werden. Grundsätzlich brach eine Zeit moderner Kindheitsliteratur an, die mit dem bis dato vorherrschenden, beharrlichen Traditionalismus brach. Zur Schaffung eines Antiautoritarismus, der mehr durch freie Entfaltung als durch Misstrauen gegenüber Eltern oder Erwachsenen geprägt war, trug maßgeblich auch Astrid Lindgren bei. Die schwedische Autorin liefert eine Welt losgelöst von städtischer Industrie und Arbeitsweltfokus. Im Zentrum stehen stattdessen Freiheit und freie Entfaltung sowie Fantasie (Ewers, 2013a).
Krankheit, Tod oder auch Liebe kommen thematisch erst ab den 1970ern in westdeutscher Kinder- und Jugendliteratur auf. Ein Paradigmenwechsel von der freien Parallelität des kindlichen Daseins zur Gleichberechtigung des Kindes findet statt. Der junge Mensch wird nicht mehr als weniger oder separat betrachtet, sondern lebt in derselben komplexen und schwierigen Welt wie der Erwachsene. Ihm wird ein eigenes, vielschichtiges Innenleben zugetraut, genauso wie die Kompetenz, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen (Ewers, 2013b). Bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 fand schließlich wieder eine gewisse Rückentwicklung zu kurierten Themen und Stilen statt, da die anspruchsvolle Kinderliteratur der 70er teils als zu herausfordernd gesehen wurde (Ewers, 2013b).
Kindermedien in der DDR
Während die BRD in der frühen Nachkriegszeit als Besatzungszone politisch maßgeblich von demokratisch-liberalen Werten der USA beeinflusst wurde, versuchte die eingesetzte Regierung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik unter der indirekten Kontrolle der Sowjetunion sozialistische Werte in einer ursprünglich teils faschistischen und antikommunistischen Bürgerschicht zu verbreiten. Die Medienlandschaft stand unter stärkerem staatlichen Einfluss, welcher sich in Form von politischen Erziehungsbemühungen äußerte. Staatliche Funktionäre der DDR erkannten rasch, dass die mediale Erziehung von Kindern und Jugendlichen die gewünschten Werte mittel- oder langfristig am effektivsten in der ostdeutschen Gesellschaft verbreiten konnte (Heidtmann, 1992, S.137).
Die Ausgangsposition westdeutscher Kindermedien im Vergleich zu jenen der DDR war somit eine andere. Ziel der Medienlandschaft in der DDR war nicht wirtschaftlicher Erfolg, sondern die Verbreitung einer sozialistischen Grundeinstellung. Während dies vor dem Mauerbau durch den sporadischen Zufluss attraktiver, weniger restriktiver westlicher Kindermedien erschwert wurde, bot die dem Bau folgende Abschottung die Möglichkeit zur Bildung einer gänzlich eigenen Medienlandschaft ohne frei zugängliche Alternativen (Heidtmann, 1992, S.138). Diese angestrebte Isolation und gezielte Kinder- und Jugendbildung führte zu Beginn des ostdeutschen Staates zu einer Knappheit verfügbarer Kinderliteratur, da nur eine begrenzte Anzahl nicht zerstörter Vorkriegsgeschichten verfügbar waren, die nicht, wie in der BRD, durch neue Übersetzungen aus dem Ausland rasch aufgestockt wurden (Großmann, 2018, S. 34). Nachdem die Produktion schließlich angelaufen war, prägte die Kinderliteratur der DDR eine Heldengeschichte des aufopferungsbereiten Systemtreuen. Oft wurden die Protagonisten auch dem öffentlichen Bild sowjetischer Heldenfiguren, wie beispielsweise dem Diktator Joseph Stalin, nachempfunden (Großmann, 2018, S. 35f.). Als im frühkindlichen Bereich intensiv genutztes Vehikel, vermittelte besonders das Bilderbuch mithilfe ansprechender und altersgerechter Illustrationen die staatliche Propaganda (Großmann, 2018, S. 37).Auch das Fernsehen, welches in der DDR sogar vor der Bundesrepublik die Sendung aufnahm, bot von Beginn der Ausstrahlung im Jahr 1952 ein auf Kinder zugeschnittenes Programm an. Eine Zielgruppenorientierung existierte sowohl für Kinder bis zum Grundschulalter, als auch für zehn- bis dreizehnjährige. Zumeist stützte sich das Programm auf Puppentheater (Großmann, 2018, S. 38f.). Eine aus dieser Zeit stammende Sendung ist das Sandmännchen (1959), das in beinahe unveränderter Form als Abendprogramm bis heute im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird und in der Zeit des ostdeutschen Staates durchgehend stabile sowie hohe Einschaltquoten hatte (Großmann, 2018, S. 42). In der Konzeption sollte auch das Sandmännchen ursprünglich nicht nur als Identifikationsfigur für Kinder dienen, sondern auch als Vehikel, eine sozialistische Grundhaltung an diese zu vermitteln (Großmann, 2018, S. 43). Kinderspielshows wie „GIX-GAX“ oder „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ sollten ihrerseits beispielsweise die Leistungsbereitschaft des Kollektivs wecken (MDR, 2019). Ebenso wie die Literatur war das Kinderfernsehen der DDR Mittel zur ideologischen Beeinflussung. Stock (zitiert nach Wiedemann, 2001) schreibt 1995 in Bezug auf das ostdeutsche Fernsehen: „‘Staatsbürgerliche Erziehung’ – später durch den umfassenderen und ideologisch stärker etikettierenden Begriff ‘kommunistische Erziehung’ ersetzt – war auf die Herausbildung moralisch-sittlicher Verhaltensweisen und Wertvorstellungen gerichtet.“ Wiedemann (2001) summiert: „Das Kinderfernsehen der DDR kann daher in seinen Inhalten und Formen nur im Kontext der sozialen und kulturellen Bedingungen, der philosophischen und politischen Prämissen des Staates DDR erschlossen werden.“
Quellen und weiterführende Informationen
Ewers, H. H. (2013a, 11. Mai). Kinder- und Jugendliteratur der Nachkriegszeit in Westdeutschland und Österreich. kinderundjugendmedien.de. https://www.kinderundjugendmedien.de/forschung-mobil/fachlexikon/begriffe-und-termini/659-paradigmenwechsel-der-kinder-und-jugendliteratur-um-1970
Ewers, H. H. (2013b, 11. Mai). Paradigmenwechsel der Kinder- und Jugendliteratur um 1970. kinderundjugendmedien.de. https://www.kinderundjugendmedien.de/forschung-mobil/fachlexikon/begriffe-und-termini/659-paradigmenwechsel-der-kinder-und-jugendliteratur-um-1970
Großmann, R. (2018, 23. Mai). Die Bedeutung von Kindermedien zur frühkindlichen Bildung und Erziehung in der DDR: Dargestellt am Beispiel des Sandmännchens [Bacherlorarbeit, Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe]. KiDokS. https://kidoks.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/1689/file/BA_RicardaGrossman.pdf
Heidtmann, H. (1992). Kindermedien in der DDR: Bildung, Erziehung und Unterhaltung. In: Kindermedien: Sammlung Metzler (S. 137-168). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03970-5_11
MDR. (2019, 12. November). DDR-Erziehung: Im Sinne der Ideologie. https://www.mdr.de/geschichte/schule-bildung-ddr-100.html
Schneider, W. (Hrsg.). (1982). Aufbruch zum neuen bundesdeutschen Kinderfilm. Eulenhof-Verlag Heinold.
Wiedemann, D. (2001). Medienkindheiten zwischen “Sandmännchen” und “Sesamstraße” – Aufwachsen in der DDR. Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft, 20(1), 88-101. https://www.ingentaconnect.com/content/plg/spiel/2001/00000020/00000001/art00004?crawler=true
Wiedemann, D. (2017). Es war einmal … Märchenfilme in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. In Dettmar, U., Pecher, C.M., Schlesinger, R. (Hrsg.), Märchen im Medienwechsel (S. 179-228). J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04593-5_9
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