Citizen Science für Kinder
Beobachten, sammeln, messen – das alles macht nicht ausschließlich Wissenschaftler*innen Spaß, sondern auch Erwachsenen und Kindern außerhalb des institutionellen Wissenschaftsbereichs. Hier setzt Citizen Science an.
Was ist Citizen Science?
Citizen Science (deutsch Bürgerwissenschaften) beschreibt einen Ansatz, bei dem Bürger*innen ehrenamtlich und auf Augenhöhe mit hauptamtlich Forschenden an der Durchführung von Forschungsprojekten mitwirken. Die Teilnahme steht dabei jedem, also auch Menschen ohne akademische Vorbildung, offen. Der zeitliche Umfang des Engagements kann – je nach Interesse und Bedarf – von einer kurzfristigen Beteiligung bis zu einer langen und intensiven Mitarbeit reichen.
Insgesamt können vier Stufen von Citizen Science unterschieden werden, wobei der Grad der Beteiligung von Stufe zu Stufe ansteigt:
- Stufe 1 (Crowdsourcing): Hierbei wirken die Bürger*innen an der Sammlung der Daten mit. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Vogelzählungen, zu denen der Naturschutzbund Deutschland (NABU) jährlich aufruft.
- Stufe 2 (Verteilte Intelligenz): Die Freiwilligen führen einfache Datenauswertungen durch.
- Stufe 3 (Partizipative Wissenschaft): Hierbei sind die Ehrenamtlichen an der Entwicklung der Forschungsfrage und an der Datenerhebung beteiligt.
- Stufe 4 (Extreme Citizen Science): Bei Citizen-Science-Projekten dieser Stufe werden Bürger*innen sowohl bei der Formulierung der Forschungsfrage als auch bei der Erhebung und Auswertung der Daten in den Forschungsprozess einbezogen.
Wenngleich die Digitalisierung die Beteiligung von Ehrenamtlichen erleichtert, ist Citizen Science kein neuer Ansatz. Bürger*innen wirkten bereits vor über 100 Jahren an Vogelzählungen mit. Während damals noch alles manuell erfasst werden musste, unterstützen heute zahlreiche Apps und andere digitale Anwendungen die Arbeit der Hobby-Forscher*innen.
Potenziale und Herausforderungen
Die meisten Citizen-Science-Projekte sind im Bereich der Naturwissenschaften angesiedelt. Auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind zunehmend die Potenziale von Citizen Science zu erkennen.
Beispielsweise kann Citizen Science, durch die breite Vorstellung in der Öffentlichkeit, die Bekanntheit der Forschungseinrichtungen und ihrer Projekte steigern. Die Zusammenarbeit mit Laien kann im besten Fall zudem neue Ideen und alltagsnahe Fragestellungen in die Forschungsinstitutionen hineintragen.
Darüber hinaus ermöglicht die Beteiligung von Ehrenamtlichen die Erhebung und Auswertung großer Datenmengen, welche wissenschaftliche Forschungsinstitutionen allein nicht stemmen könnten. Bürger*innen leisten somit einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis. Allerdings steigt durch die Beteiligung von Laien auch das Risiko für fehlerhafte Daten und damit die Verfälschung des Datensatzes insgesamt. Viele Initiator*innen bieten daher ausführliche Anleitungen oder sogar Schulungen an, um dieses Risiko zu minimieren.
Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Freiwillige durch die Teilnahme an Citizen-Science-Projekten einen transparenten Einblick in die gängige Forschungspraxis erhalten und wissenschaftliche Forschungsmethoden kennenlernen. Das Verständnis für wissenschaftliche Prozesse wird gefördert. Folgend kommt es zum Abbau von Wissenschaftsskepsis, wie sie während der Corona-Pandemie häufig zu spüren war – und natürlich bleibt auch der Spaß nicht außen vor.
Citizen Science in Freizeit und Schule
Damit Wissenschaftsskepsis nicht entsteht, sollten Kinder so früh wie möglich mit Wissenschaft in Kontakt kommen. Citizen-Science-Projekte eignen sich dafür ideal.
Darüber hinaus thematisieren Citizen-Science-Projekte vielfältige ökologische, gesellschaftliche und kulturelle Fragestellungen. Kinder können somit auch für diese Themen sensibilisiert werden. Durch die benötigten Apps für viele Projekte kommt es zudem zur Förderung der Medienkompetenz der Kinder.
Aber nicht allein als Freizeitbeschäftigung, sondern auch für den Einsatz in der Schule, sind viele Citizen-Science-Projekte geeignet. Hier werden Kinder erreicht, die zuvor nicht von freiwilligen Angeboten profitieren konnten. Passende Citizen-Science-Projekte geben Schüler*innen außerdem die Möglichkeit, im Unterricht erlerntes Wissen an einem praktischen Beispiel anzuwenden. Somit wird der Bezug zur eigenen Lebenswelt dargestellt.
Die gemeinsame Arbeit an einem Projekt fördert zudem vielfältige Projektmanagement-, Problemlöse- und Kommunikationskompetenzen. Nicht zuletzt lernen die Schüler*innen die Wissenschaft auch als möglichen, spannenden Arbeitgeber kennen. „[D]as könnte für viele Schüler*innen ein Türöffner zur Wissenschaft sein“, ist sich Katrin Knickmeier, Mitinitiatorin des Projekts Plastikpiraten sicher (GEWISS, 2019).
Projekte für Kinder
Wer Lust bekommen hat, selbst zu forschen, kann sich auf dem Portal Bürger schaffen Wissen umsehen. Dort gibt es eine Übersicht über Citizen-Science-Projekte in Deutschland und weltweit. Die Ergebnisse lassen sich unter anderem nach Thema, Ort und Kinderfreundlichkeit filtern. Drei für Kinder geeignete Projekte stellen wir Ihnen hier vor:
TreeChecker
Bäume sind wichtig für die Regulierung des Stadtklimas. Sie stehen jedoch, unter anderem durch den Klimawandel, zunehmend unter Stress, was sie anfällig für Krankheiten und Schädlingsbefall macht. Aus diesem Grund hat das Schulbiologiezentrum Hannover das Projekt TreeChecker 2018 ins Leben gerufen. Ziel des Projekts ist es, Baumarten zu finden, welche besonders robust gegen den Klimawandel und gut für Städte geeignet sind. Dazu sollen mit Hilfe einer Web-App Bäume in der Umgebung bestimmt, auf einfache Krankheiten hin untersucht und kartiert werden. Eine Karte und eine Datenbank machen die Ergebnisse im Anschluss sofort für jeden sichtbar. Das Projekt eignet sich unter Anleitung für Kinder ab der fünften Klasse.
Dawn Chorus
An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst agiert das Projekt Dawn Chorus, das 2020 das Naturkundemuseum Bayern initiiert hat. Das Projekt untersucht, wie sich Klimawandel, Verstädterung und Lärm auf das Verhalten und die Artenzusammensetzung von Vögeln auswirken. Freiwillige nehmen dazu mit Hilfe einer eigens für das Projekt entwickelten App Vogelstimmen auf und sammeln Daten zu Ort, Zeit und Wetterlage zum Zeitpunkt der Aufnahme. Wer möchte, kann die Aufnahme anschließend mit dem integrierten Tool Sonic Feather bearbeiten und sein eigenes Kunstwerk erschaffen. Die Ergebnisse werden auf Wunsch auf der Projektwebsite präsentiert. Auch zum Projekt passende Unterrichtsmaterialien sind auf der Projektwebsite zu finden.
Gefahren im digitalen Alltag
Ob bewusst oder unbewusst – beim Surfen im Internet hinterlassen wir vielfältige Daten. Nicht immer ist dabei klar, ob diese Daten sicher sind. Genau hier setzt das Projekt Gefahren im digitalen Alltag des Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit (CISPA) an. Das Projekt untersucht das Vertrauen von Bürger*innen in IT-Systeme. Die Ergebnisse können dazu beitragen, die digitale Welt verständlicher zu machen. Dazu können Freiwillige mithilfe eines Online-Fragebogens sicherheitsrelevante IT-Vorfälle von sich oder aus ihrem Bekanntenkreis dokumentieren. Vorkenntnisse werden dazu nicht benötigt und das Projekt ist für jede Altersgruppe geeignet. Der Projektzeitraum endet im August 2023. Die Projektergebnisse werden anschließend online veröffentlicht.
Viel Spaß beim Mitmachen!
Quellen und weiterführende Informationen
BMUV (2020): Citizen Science – Bürgerwissenschaft: Die Grundlagen und Möglichkeiten für die Bildungspraxis. https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/citizen-science-buergerwissenschaft-die-grundlagen-und-moeglichkeiten-fuer-die-bildungspraxis (20.03.2023)
CISPA (2021): Digitaler Alltag. Wo lauern die Gefahren? Was können wir tun, um uns zu schützen? https://citizen-science.challenge.saarland/ (01.04.2023)
Dawn Chorus (o. D.): Stop and listen. https://dawn-chorus.org/ (01.04.2023)
GEWISS (2019): „Jede 6. Klasse sollte bei einem Citizen-Science-Projekt mitmachen”. https://www.buergerschaffenwissen.de/blog/jede-6-klasse-sollte-bei-einem-citizen-science-projekt-mitmachen (01.04.2023)
GEWISS (o. D.-a): Dawn Chorus. https://www.buergerschaffenwissen.de/projekt/dawn-chorus (01.04.2023)
GEWISS (o. D.-b): Gefahren im digitalen Alltag. https://www.buergerschaffenwissen.de/projekt/gefahren-im-digitalen-alltag (01.04.2023)
GEWISS (o. D.-c): Grünbuch: Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland. https://www.buergerschaffenwissen.de/sites/default/files/grid/2017/11/20/gewiss-gruenbuch_citizen_science_strategie.pdf (20.03.2023)
GEWISS (o. D.-d): Projekte entdecken. https://www.buergerschaffenwissen.de/projekte (01.04.2023)
GEWISS (o. D.-e): TreeChecker – welche Straßenbäume für die Stadt der Zukunft? https://www.buergerschaffenwissen.de/projekt/treechecker-welche-strassenbaeume-fuer-die-stadt-der-zukunft (01.04.2023)
GEWISS (o. D.-f): Warum Citizen Science? Was sind die Vorteile? Was sind die Herausforderungen? https://www.buergerschaffenwissen.de/citizen-science/handbuch/vorteile-herausforderungen (20.03.2023)
GEWISS (o. D.-g): Was ist Citizen Science? https://www.buergerschaffenwissen.de/citizen-science/handbuch/was-ist-citizen-science (20.03.2023)
Haklay, M. (2018): Participatory citizen science. In: S. Hecker; M. Haklay; A. Bowser; Z. Makuch; J. Vogel; A. Bonn (Hrsg.): Citizen Science: Innovation in open science, society and policy. London: UCL Press, 52-62. https://doi.org/10.14324/111.9781787352339
NABU (o. D.): Stunde der Gartenvögel: So funktioniert die Teilnahme. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/stunde-der-gartenvoegel/mitmachen/index.html (01.04.2023)
Scheuch, M.; Pirker, H.; Wenig, S.; Westreicher, F. (2021): Mehrwert von Citizen Science an und mit Schulen. In: Agentur für Bildung und Internationalisierung (Hrsg.): Citizen Science – Forschen mit Schulen: Grundlagen, Empfehlungen und praktische Tipps für gemeinsame Projekte. https://www.doi.org/10.5281/zenodo.5865482
Schulbiologiezentrum Hannover (o. D.): TreeChecker. http://www.treechecker.de/ (01.04.2023)