#Kurz gefasst, klar gedacht: Märchen, Moral und Medien — Wie Kinderfilme Werte formen und welche Herausforderungen sie bergen

Medien prägen die moralische Entwicklung von Kindern in entscheidendem Maße. Besonders populäre Medien wie Disney-Filme spielen eine bedeutende Rolle bei der moralischen Bildung junger Zuschauer, indem sie Helden und Schurken mit klar definierten ethischen Prinzipien präsentieren (Hahn et al., 2024a).
Doch nicht alle moralischen Botschaften in Medien sind gleich verständlich. Während Filme für Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren oft klare Lektionen über gutes und schlechtes Verhalten vermitteln, werden die moralischen Lektionen in Filmen für ältere Kinder und Jugendliche zunehmend komplexer (Hahn, 2022). Einerseits kann dies helfen, die moralische Urteilsfähigkeit weiterzuentwickeln, andererseits kann es aber auch zu Missverständnissen führen.
In diesem Beitrag werden die Chancen und Herausforderungen digitaler Medien für die Entwicklung moralischer Werte von Kindern und Jugendlichen analysiert, indem Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Pädiatrie herangezogen werden.
Chancen
Förderung von sozialen Werten und Verhalten
Für Kleinkinder im Alter von zwei bis fünf Jahren sind moralische Botschaften in Medien in der Regel eindeutig (Hahn, 2022). Besonders in Filmen und Serien, die Freundlichkeit, Zusammenhalt und Gerechtigkeit betonen, lernen Kinder, wie wichtig es ist, sich für andere einzusetzen und fair zu sein (Coyne et al., 2016). Studien zeigen, dass Heldinnen und Helden in beliebten Kinderfilmen häufig als mitfühlend, gemeinschaftsorientiert, kompetent, unabhängig und sozial verbunden dargestellt werden. Dabei sind sie oft bereit, persönliche Risiken einzugehen, um für ihre Überzeugungen einzustehen (Hahn et al., 2024a). Bösewichte hingegen verkörpern meist gegensätzliche Werte: Sie werden oft als machthungrig und rücksichtslos dargestellt und nehmen in Kauf, dass andere darunter leiden, wenn es ihrem eigenen Vorteil dient (Hahn et al., 2024a). Diese Form der klaren Verstärkung hilft Kindern, moralische Prinzipien, die in der jeweiligen Kultur wertgeschätzt werden, zu verstehen und intuitiv zwischen richtig und falsch zu unterscheiden (Tamborini, 2013 nach Hahn et al., 2024a).
Laut dem Moral Judgment as Categorization (MJAC) Framework lernen Menschen durch wiederholte Erfahrungen, bestimmte Handlungen als moralisch richtig oder falsch einzuordnen (McHugh et al., 2022 nach Hahn et al., 2024b). Wenn ein Kind also wiederholt sieht, dass Freundlichkeit belohnt und Rücksichtslosigkeit bestraft wird, verinnerlicht es diese Unterscheidung und überträgt sie auf neue Situationen, sodass es beispielsweise Gewalt einer anderen Person unabhängig vom Kontext als moralisch falsch einordnet (Hahn et al., 2024b). Somit können Filme ein wirksames Mittel sein, um Werte zu vermitteln, die in einer Gesellschaft als wünschenswert oder nicht wünschenswert gelten.
Herausforderungen
Stereotype Darstellungen und deren Einfluss auf Kinder
Ein Problem vieler Kinderfilme ist, dass sie stereotype Darstellungen verwenden. Besonders weibliche Charaktere wurden häufig in passiven Rollen gezeigt, die auf die Rettung durch einen männlichen Helden angewiesen sind. Diese wiederkehrenden Darstellungen prägen die Wahrnehmung von Geschlechterrollen und können dazu führen, dass junge Zuschauerinnen diese Verhaltensmuster übernehmen (Coyne et al., 2016). Studien zeigen, dass Mädchen, die verstärkt Filme mit solchen Rollenbildern konsumieren, teilweise selbst ein Verhalten entwickeln, das mit diesen Stereotypen übereinstimmt. Das kann dazu führen, dass sie sich eher zurückhalten, passiv bleiben oder erwarten, dass andere Probleme für sie lösen (Coyne et al., 2016).
Medien spiegeln Werte der Entstehungszeit wider und sind nicht immer zeitgemäß
Kinderfilme sind oft ein Spiegel der gesellschaftlichen Werte, die zur Zeit ihrer Produktion vorherrschten. Diese Werte sind nicht per se schlecht, doch nicht alle sind langfristig haltbar oder kulturell inklusiv. Inhalte, die einst als normal galten, können heute als problematisch angesehen werden (Hahn et al., 2024b). Ein Beispiel dafür ist der Disney-Film Aladdin (1992). Die stereotype Darstellung arabischer Kultur sorgte für Kritik, da befürchtet wurde, der Film könnte anti-arabische Vorurteile verursachen (Alosman et al., 2019 nach Susca & Alkhallouf, 2024.; Little, 2002 nach Susca & Alkhallouf, 2024).
Unklare moralische Botschaften – Risiken für moralisches Lernen
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass moralische Werte nicht immer klar vermittelt werden. Während jüngere Kinder meist Filme mit eindeutigen moralischen Botschaften sehen, werden Filme für ältere Kinder und Jugendliche oft komplexer. Moralische Verstöße werden nicht immer bestraft, und positive Handlungen führen nicht immer zu einer Belohnung (Hahn et al., 2024b). Ein Beispiel dafür sind Heldinnen und Helden, die Regeln brechen oder Gewalt anwenden, um ihre Ziele zu erreichen und trotzdem als moralisch gut dargestellt werden (Hahn et al., 2024a). Gleichzeitig kommt es vor, dass Bösewichte positive Handlungen zeigen, wie etwa jemandem zu helfen, aber dennoch negativ behandelt werden. Solche Darstellungen können es für Kinder schwieriger machen, klare moralische Schlüsse zu ziehen, und bergen das Risiko, dass sie gesellschaftlich nicht wünschenswerte Verhaltensweisen als akzeptabel und erstrebenswert ansehen (Hahn, 2022).
Fazit
Kinderfilme sind ein wichtiges Mittel zur Vermittlung moralischer Werte, doch ihre Wirkung ist nicht immer eindeutig. Während jüngere Kinder klare Botschaften über Gut und Böse erhalten, werden moralische Lektionen für ältere Kinder oft komplexer. Dies kann die Urteilsfähigkeit fördern, birgt aber auch das Risiko von Fehlinterpretationen. Zudem spiegeln viele Filme gesellschaftliche Werte ihrer Entstehungszeit wider. Einige dieser Werte bleiben zeitlos, andere weichen von heutigen gesellschaftlichen Normen ab – etwa durch stereotype Darstellungen oder überholte Rollenbilder.
Um die positiven Effekte von Medien zu nutzen und mögliche Risiken zu minimieren, ist eine kritische Auseinandersetzung mit Medieninhalten entscheidend. Eltern, Pädagogen und Medienmacher sollten Kinder dabei unterstützen, Filme reflektiert zu konsumieren und ihre moralischen Botschaften bewusst zu hinterfragen. Nur so können Medien einen wertvollen Beitrag zur moralischen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen leisten.
Quellen und weiterführende Informationen
Coyne, S. M., Linder, J. R., Rasmussen, E. E., Nelson, D. A. & Birkbeck, V. (2016). Pretty as a Princess: Longitudinal Effects of Engagement With Disney Princesses on Gender Stereotypes, Body Esteem, and Prosocial Behavior in Children. Child development, 87(6), 1909–1925. https://doi.org/10.1111/cdev.12569
Hahn, L. (2022). Moral clarity decreases as viewer age increases: a content analysis of the moral values and reinforcement cues depicted in popular U.S. children’s television. Journal of Children and Media, 16(2), 168–187. https://doi.org/10.1080/17482798.2021.1943475
Hahn, L., Aley, M., Frank, A. L. & Lattimer, T. (2024a). What can heroes and villains teach young audiences? A research brief investigating the values emphasized in family-rated Walt Disney films. Journal of Children and Media, 1–12. https://doi.org/10.1080/17482798.2024.2402268
Hahn, L., Tamborini, R., Aley, M., Baldwin, J. & Grady, S. M. (2024b). Early Adolescents Can Extract Distinct Moral Lessons from Narrative Media Content. Media Psychology, 27(1), 26–49. https://doi.org/10.1080/15213269.2023.2219457
Susca, M. & Alkhallouf, A. (2024). “Presented as originally created”: how Disney profits off racist content from the past on its streaming platform of the future. Critical Studies in Media Communication, 41(2), 153–166. https://doi.org/10.1080/15295036.2024.2345225