Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen – Eine Auswertung der Längsschnittstudie Mediensucht in Zeiten der Pandemie
Wie nutzen Kinder und Jugendliche Gaming, Social Media und Streaming? Und welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf das Mediennutzungsverhalten der Heranwachsenden? Antworten auf diese Fragen bietet die Studie Mediensucht in Zeiten der Pandemie. Die weltweit einzigartige Längsschnittstudie wurde zwischen September 2019 und Juni 2022 im Auftrag der DAK-Gesundheit vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf durchgeführt. Im März 2023 wurden die Ergebnisse nun veröffentlicht. In diesem Beitrag soll ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Studie gegeben werden.
Methodik
Für die Studie wurden in fünf Messzeiträumen Daten mittels Online-Befragungen durch die Forsa Politik- und Sozialforschung GmbH erhoben. Befragt wurden dabei insgesamt mehr als 1.200 repräsentativ ausgewählte Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren sowie jeweils ein Elternteil. Die erste Erhebung fand im September 2019 und damit vor Beginn der Corona-Pandemie statt. Weitere Befragungen folgten im April 2020 während des ersten Lockdowns sowie im November 2020 und im Mai/Juni 2021. Die letzte Erhebung wurde im Juni 2022 durchgeführt. Hier waren die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens wieder weitgehend aufgehoben.
Im Rahmen der Studie wurden Daten zur Nutzungshäufigkeit und -dauer von digitalen Spielen, sozialen Medien und ab November 2020 auch von Streaming-Diensten erhoben. Darüber hinaus wurden Angaben zum Media-Multitasking, also zur gleichzeitigen Nutzung verschiedener Medien, und zu möglichen körperlichen Auswirkungen der Mediennutzung erfasst. Die befragten Elternteile wurden zudem zu Medienregeln in der Familie und deren Umsetzung befragt.
Zudem wurden Daten zu problematischen bzw. pathologischen Nutzungsmustern der genannten Medien anhand der ICD-11-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation für riskantes Gamingverhalten bei den befragten Kindern und Jugendlichen erfasst. Hierfür wurden die validierten Fragebögen GADIS-A (engl. Gaming Disorder Scale for Adolescents), SOMEDIS-A (engl. Social Media Disorder Scale for Adolescents) und STREDIS-A (engl. Streaming Disorder Scale for Adolescents) angewendet. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation liegt eine Computerspielstörung vor, wenn Computerspiele über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten unkontrolliert, prioritär gegenüber anderen Aktivitäten und trotz negativer Konsequenzen genutzt werden. Bei einem riskanten Spielverhalten sind hingegen noch keine negativen Konsequenzen eingetreten.
Digitale Spiele
Unter den Begriff digitale Spiele fallen im Rahmen der Studie „alle Online- und Offline-Spiele […], die auf digitalen Endgeräten genutzt werden (Smartphone, Tablet, Computer, Spielekonsole)“ (DAK-Gesundheit, 2023, S. 51). Bei der ersten Befragung im September 2019 gaben 85 % der befragten Kinder und Jugendlichen an, mindestens einmal pro Woche digitale Spiele zu nutzen. Nach einem Anstieg während des ersten Lockdowns im April 2020 ging der Anteil der regelmäßigen Gamer*innen im Juni 2022 mit 81 % sogar etwas unter das Vorkrisenniveau zurück. Betrachtet man jedoch die Nutzungsdauer, so zeigt sich ein anderes Bild. Vor Beginn der Corona-Pandemie lag die Nutzungsdauer der regelmäßigen Gamer*innen an Werktagen bei durchschnittlich 78 Minuten und am Wochenende bzw. in den Ferien bei 140 Minuten. Von einer regelmäßigen Nutzung wird im Rahmen der Studie ausgegangen, wenn die Befragten mindestens einmal in der Woche digitale Spiele nutzen. Während des ersten Lockdowns stieg die durchschnittliche Nutzungsdauer dann, insbesondere an Werktagen, jedoch stark an (136 Minuten, +57 %). Im weiteren Verlauf der Pandemie ging die durchschnittliche Nutzungsdauer dann etwas zurück. Sie lag im Juni 2022 aber mit 113 Minuten an Werktagen und 170 Minuten an schulfreien Tagen immer noch deutlich über dem Vorkrisenniveau (vgl. Abbildung 1). Jungen verbrachten dabei sowohl deutlich häufiger als auch deutlich länger Zeit mit der Nutzung digitaler Spiele als Mädchen. Zudem zeigte sich, dass die Nutzungsdauer mit zunehmendem Alter ansteigt. So verbrachten Kinder bis 15 Jahre an Werktagen 99 und an schulfreien Tagen 152 Minuten mit der Nutzung digitaler Spiele. Bei den regelmäßigen Gamer*innen ab 16 Jahren lag die Nutzungsdauer mit 131 bzw. 193 Minuten hingegen deutlich höher.
Im Juni 2022 zeigten knapp 12 % der befragten Kinder und Jugendlichen gemäß den ICD-11-Kriterien ein riskantes Computerspielverhalten. Bei 6,3 % der Befragten waren sogar die Kriterien für eine pathologische Computerspielnutzung erfüllt. Damit hat sich der Anteil der von einer Computerspielsucht betroffenen Kinder und Jugendlichen im Vergleich zum Vorkrisenniveau mehr als verdoppelt (vgl. Abbildung 2).
Die Nutzungsdauer steigt dabei mit zunehmender Pathologisierung des Nutzungsverhaltens an. Während die Nutzungsdauer bei unauffälligen regelmäßigen Gamer*innen bei durchschnittlich 2,1 Stunden lag, betrug sie bei riskanten Nutzer*innen drei und bei pathologischen Nutzer*innen sogar knapp fünf Stunden. Jungen waren dabei im Juni 2022 mit einem Anteil von etwa 68 % deutlich häufiger betroffen als Mädchen. Jedoch stieg auch bei den regelmäßigen Gamerinnen der Anteil von 23,5 % bei der Erhebung im Mai/Juni 2021 auf 31,6 % im darauffolgenden Jahr. Während der Anteil der Jungen mit pathologischer Computerspielnutzung in Bezug auf alle befragten Jungen jedoch im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben ist, nahm der Anteil der Mädchen signifikant zu (Juni 2021: 1,7 %; Juni 2022: 4,1 %). In Bezug auf die Gesamtstichprobe sind die 14- bis 17-Jährigen zudem mit einem Anteil von 7,4 % der regelmäßigen Gamer*innen deutlich häufiger von einer Computerspielstörung betroffen als die 10- bis 13-Jährigen.
Soziale Medien
Unter allen in der Studie betrachteten Medienarten wurden soziale Medien von Kindern und Jugendlichen am meisten genutzt. Nahezu 90 % gaben bei der fünften Befragung im Juni 2022 an, diese an mindestens einem Tag pro Woche zu nutzen. Etwa zwei Drittel der Befragten nutzten soziale Medien sogar täglich. Die Studienautor*innen zählen hierzu „Messenger-Dienste (z.B.WhatsApp und Telegram), […] digitale Fotoalben (z.B. Instagram und Snapchat), Mikroblogging-Dienste (z.B. Twitter und Facebook), sowie Berufsplattformen (z.B. XING und LinkedIn)“ (DAK-Gesundheit, 2023, S. 51). Auch Video-Streaming-Dienste, wie YouTube und TikTok (vgl. Abschnitt Streaming-Dienste), werden darunter gefasst, sofern bei der Nutzung eine Interaktion mit anderen Nutzern stattfindet.
Wie bei den digitalen Spielen auch, lag die Nutzungsdauer im April 2020, während des ersten Lockdowns mit 181 Minuten an Werktagen und 217 Minuten am Wochenende bzw. in den Ferien am höchsten. Dies entspricht einem Anstieg von 52 bzw. 22,2 % im Vergleich zum September des vorherigen Jahres. Mit zunehmender Lockerung der pandemiebedingten Beschränkungen gingen die durchschnittlichen Nutzungszeiten dann aber zurück. Das Vorkrisenniveau wurde aber auch hier nicht wieder erreicht (vgl. Abbildung 3).
Anders als beim Gaming konnten die Studienautor*innen bei der Nutzung sozialer Medien keine signifikanten Geschlechterunterschiede beobachten. Jedoch nimmt auch hier die durchschnittliche Nutzungsdauer mit dem Alter zu. So betrug die Nutzungsdauer im Juni 2022 bei den 10- bis 15-Jährigen an Werktagen 132 Minuten, während die 16- bis 17-Jährigen an Wochentagen durchschnittlich 201 Minuten mit der Nutzung sozialer Medien verbrachten.
Von einer riskanten Nutzung sozialer Medien waren 16,4 % der regelmäßigen Nutzer*innen betroffen. Bei 6,3 % trafen sogar die Kriterien für ein pathologisches Nutzungsverhalten zu. In beiden Fällen hat sich die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen im Vergleich zur ersten Befragung im September 2019 verdoppelt (vgl. Abbildung 4). Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren waren dabei signifikant häufiger von einer pathologischen Nutzung betroffen als 10- bis 13-Jährige. Zudem lässt sich auch hier ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer und dem Nutzungsverhalten feststellen. Während riskante und pathologische Nutzer*innen pro Tag mehr als vier Stunden mit der Nutzung sozialer Medien verbrachten, lag die Nutzungsdauer bei den unauffälligen Nutzer*innen lediglich bei knapp drei Stunden.
Streaming-Dienste
Streaming-Dienste wurden ab November 2020 neu in die Befragung aufgenommen. Unter Streaming-Diensten verstehen die Studienautor*innen „Video-Streaming-Dienste […], über die Filme, Serien, Shows, Dokumentationen, Videos oder Clips angeschaut werden können (z.B. Netflix, Amazon Prime, YouTube, TikTok oder Twitch.tv).“ (DAK-Gesundheit, 2023, S. 51). Bei der letzten Erhebung im Juni 2022 gaben 83 % der befragten Kinder und Jugendlichen an, mindestens einmal pro Woche Streaming-Dienste zu nutzen. Nahezu ein Drittel verbrachte sogar täglich Zeit mit dem Konsum der Angebote. Die durchschnittliche Nutzungsdauer lag im Mai/Juni 2021 mit 165 Minuten an Werktagen und 239 Minuten am Wochenende bzw. in den Ferien am höchsten. Jedoch konnte bei der Erhebung ein Jahr später ein starker Rückgang von 34 % verzeichnet werden, sodass die durchschnittliche Nutzungsdauer wieder auf einem ähnlichen Niveau lag wie bei der ersten Befragung im November 2020 (103 Minuten an Werktagen, 162 Minuten an schulfreien Tagen) (vgl. Abbildung 5). Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern konnten bei der Streaming-Nutzung nicht festgestellt werden. Jedoch steigt die Nutzungsdauer auch hier mit dem Alter an. Während die Befragten in der Altersgruppe bis 15 Jahre an Werktagen durchschnittlich 83 und am Wochenende bzw. in den Ferien 122 Minuten mit der Nutzung von Streaming-Diensten verbringen, waren es in der Altersgruppe ab 16 Jahren 122 bzw. 190 Minuten.
Die ICD-11-Kriterien für eine riskante Streaming-Nutzung erfüllten im Juni 2022 etwa 14 % der befragten Nutzer*innen. Weitere 2,3 % der Befragten waren von einer pathologischen Nutzung betroffen (vgl. Abbildung 6). Ähnlich wie bei den digitalen Spielen und den sozialen Medien waren Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren dabei signifikant häufiger von einer pathologischen Nutzung betroffen als die 10- bis 13-Jährigen.
Media-Multitasking
Das Phänomen Media-Multitasking, also die gleichzeitige Nutzung mehrerer digitaler Medien, wurde im Juni 2022 erstmals abgefragt. Demnach ist Media-Multitasking unter 85 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland verbreitet. Sie gaben an, mindestens selten mehrere digitale Medien gleichzeitig zu nutzen. Besonders verbreitet ist das Phänomen unter den pathologischen und riskanten Nutzer*innen digitaler Medien. Während nur etwa 23 % der unauffälligen Nutzer*innen angaben, häufig oder sehr häufig Media-Multitasking zu betreiben, waren es knapp 40 % unter den riskanten und nahezu zwei Drittel der pathologischen Nutzer*innen (vgl. Abbildung 7).
Fazit
Die Längsschnittstudie hat aufgezeigt, dass Mediensucht ein Thema ist, welches immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland betrifft. Die Corona-Pandemie hat die Problematik dabei noch verstärkt, denn der Anteil der Nutzer*innen mit pathologischem Nutzungsverhalten hat sich bei digitalen Spielen und bei den sozialen Medien im Vergleich zum Vorkrisenniveau verdoppelt. Diese exzessive Mediennutzung kann weitreichende Folgen für Kinder und Jugendliche haben. Alterstypische Entwicklungsaufgaben können so nicht angemessen gelöst werden, was auch Auswirkungen im familiären, schulischen und beruflichen Umfeld mit sich bringen kann. Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstandes der DAK-Gesundheit appelliert daher: „Es ist eine neue Entwicklungsaufgabe von Politik und Gesellschaft, dass Kinder und Jugendliche lernen, die Risiken der Nutzung digitaler Medien einschätzen zu können und ihr Nutzungsverhalten zu reflektieren, damit sie die Möglichkeiten der digitalen Welt langfristig für ihr privates und berufliches Leben konstruktiv nutzen können.“ (DAK-Gesundheit, 2023, S. 2)
Quellen und weiterführende Informationen
DAK-Gesundheit (2023): Mediensucht in Zeiten der Pandemie. DAK-Längsschnittstudie: Wie nutzen Kinder und Jugendliche Gaming, Social Media und Streaming? https://www.dak.de/dak/download/report-2612370.pdf (23.05.2023)