Anthropomorphisierung von Tieren in der Kinderliteratur
Anthropomorphismus in der Kinderliteratur spricht den Tieren menschliche Eigenschaften zu. Seit der Antike nutzen Autoren wie Aesop Tierfabeln, um moralische Lehren zu vermitteln. Moderne Werke, von Disney und anderen Autoren, setzen dieses Stilmittel ein. Während anthropomorphe Darstellungen das Verständnis der jungen Leser für die Natur und biologische Zusammenhänge verbessern können, kritisieren einige, dass genau das Gegenteil eintreten kann.
Anthropomorphisierung von Tieren in der Kinderliteratur
Anthropomorphismus ist weit verbreitet in der Kinder- und Jugendliteratur, welcher dem Verhalten nichtmenschlicher Wesen menschenähnliche Eigenschaften, Motivationen, Absichten oder Emotionen zuschreibt. Das Phänomen ist nicht nur auf Tiere beschränkt, sondern umfasst auch Gegenstände oder Maschinen. (Epley et al. 2007) Es ist ein Instrument der Vereinfachung von komplexen Sachverhalten.
Tiere bewohnen oft die menschliche Welt, sogar in ihrem natürlichen Lebensraum wie einem Mauseloch, das mit menschlichen Möbeln wie Tischen und Betten ausgestattet ist. (Wanning, 2016)
Disney ist bekannt für viele ihrer anthropomorphen Charaktere wie Donald Duck, Mickey Mouse und Winnie-the-Pooh. Zusätzlich gibt es noch weitere bekannte Charaktere wie Bugs Bunny, Tom und Jerry oder auch Angry Birds.
Warum anthropomorphisieren Menschen?
Epley, Waytz und Cacioppo (2007) haben ein Drei-Faktoren-Modell als psychologischen Erklärungsansatz zur Entstehung des Anthropomorphismus entwickelt. Laut diesem Modell neigen Menschen aufgrund dreier psychologischer Faktoren besonders zum Anthropomorphismus:
– „Elicited Agent Knowledge“ lässt sich der gedanklichen Ebene zuordnen. Menschen haben Erfahrungen über die Existenz als Mensch, jedoch nicht darüber hinaus. Daher ziehen sie Rückschlüsse auf nichtmenschliche Akteure, basierend auf ihrem Wissen über die Menschlichkeit. Dadurch versuchen sie, Verhalten oder Funktionsweisen zu erklären.
Dieser Faktor kann verstärkt werden, je ähnlicher nichtmenschliche Agenten wahrgenommen werden.
– „Effectance Motivation“ zählt zu den motivierenden Einflussfaktoren. Menschen wollen komplexe Sachverhalte erklären und verständlich machen. Dies beinhaltet auch die Fähigkeit, zukünftiges Verhalten oder Funktionen vorherzusagen.
Auf diese Weise können Sachverhalte mit menschlichen Eigenschaften erklärt werden, für die keine alternativen Verständniswege existieren. Dadurch können Handlungen einen verständlichen Sinn erhalten.
– „Sociality Motivation“ gehört ebenfalls zur motivationalen Ebene. Menschen streben nach sozialer Interaktion und Zugehörigkeit. Dadurch, dass Menschen in ihren ersten Lebensjahren fast ausschließlich von Menschen umgeben sind, kann Anthropomorphisierung dazu beitragen, eine Verbindung herzustellen und soziale Interaktion zu erleichtern. (Epley et al. 2007)
Warum wird Anthropomorphisierung in der Kinderliteratur genutzt?
Das Stilmittel der Anthropomorphisierung in der Kinderliteratur lässt sich lange zurückverfolgen. Schon in der griechischen Antike hat Aesop Tierfabeln geschrieben, die bereits zu dieser Zeit als Metaphern für menschliches Verhalten genutzt wurden, um moralische Lehren zu vermitteln. (Mills 2014) Deutschsprachige Versionen lassen sich auch heute im Projekt Gutenberg-DE finden. (Aesop o.D.)
Auf die Frage, warum genau dieses Stilmittel genutzt wird, gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Identifizierung: Tiere sind losgelöst von menschlichen Merkmalen wie Sprache, äußerlichen Merkmalen oder Kleidung. Kinder können sich so leichter mit ihnen identifizieren.
- Fantasiereise: Durch die Anthropomorphisierung können Tiere sprechen und neue Welten zeigen oder neue Perspektiven veranschaulichen, die sonst nicht wahrgenommen werden können.
- Vielfalt: Autoren können durch die Verwendung von Tieren mit stereotypen Eigenschaften und Verhaltensweisen eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere mit wenigen Worten entwickeln. Dies ist besonders vorteilhaft in Bilderbüchern, wo einfache Darstellungen genügen, um komplexe Charaktere zu vermitteln.
- Humor: Die Darstellung von Tieren als Karikaturen bestimmter Menschentypen kann generationsübergreifend humorvoll erscheinen. Der Humor basiert auf dem visuellen Bild, nicht auf sprachlichen Beschreibungen, was besonders für Bilderbücher von Vorteil ist.
Zusammenfassend dienen anthropomorphische Darstellungen dazu, Kinder zu unterhalten, zu inspirieren und ihre Vorstellungskraft zu fördern.
Durch die Verwendung von tierischen Charakteren erhalten bestimmte Themen einen unterhaltsamen Ansatz und kaschieren dabei ihre lehrhaften Absichten. (Heyer 2018)
Auswirkungen von Anthropomorphismus
Einer Untersuchung von mehreren Akademikern zufolge hat Anthropomorphismus Auswirkungen auf das Wissen von Kindern über Tiere. (Ganea et al. 2014)
Dazu haben sie mithilfe von Bilderbüchern eine Untersuchung an Kindern durchgeführt und kamen zu mehreren Erkenntnissen:
- Anthropomorphismus nimmt Einfluss auf die Art und Weise, wie Kinder Tiere wahrnehmen und über sie nachdenken. Dieser Einfluss verstärkt sich noch einmal, wenn das Kind besonders jung ist oder in städtischen Gebieten wohnt.
- Die Ergebnisse sind unabhängig davon, ob die Informationen visuell als Bild oder als Text wahrgenommen wurden, es scheint keinen Einfluss darauf zu haben, wie stark Kinder anthropomorphe Vorstellungen entwickeln.
- Kinder, die häufig anthropomorphen Darstellungen ausgesetzt sind, können Schwierigkeiten haben, biologische Fakten und Konzepte über Tiere zu lernen und anzuwenden. Dies kann später zu einer sehr menschenzentrierten Weltansicht führen. (Ganea et al. 2014)
Anthropomorphismus kann auch Chancen mit sich bringen. So können Geschichten die Nähe zur Natur fördern. Das kann besonders wichtig werden für das Erlernen von biologischen Zusammenhängen zwischen verschiedenen Lebewesen. Personifikationen können dabei helfen, unbekannte Tiere besser zu verstehen. Mit ihrem eigenen Wissen über Menschen können sie eine Brücke schlagen, um biologische Funktionen auf Tiere zu übertragen und anzupassen.
In einer anderen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Kinder die grundlegenden Lebensvorgänge von Tieren besser verstehen, wenn sie dazu angeregt werden, ihr bereits vorhandenes Wissen zu Menschen zur Erklärung nutzen und auf die Tiere übertragen. Das zeigt, dass Personifikation adaptiv unterstützen kann beim Vorhersagen von unbekanntem Tierverhalten.
Bilderbücher, welche dabei helfen, dass Kinder sich mit der Natur verbunden fühlen, können dazu beitragen, dass ihr Interesse gefördert wird und sie sich mehr an den Prozessen in der Natur interessieren, was ihr wissenschaftliches Denken in jungen Jahren fördern kann.
Zusammenfassend kommt diese Quelle zu dem Ergebnis, dass anthropomorphe Darstellungen dazu beitragen können, das Verständnis der natürlichen Welt bei Kindern zu fördern. Anthropomorphismus kann als Methode betrachtet werden, komplexe Konzepte zu vereinfachen und die Aufmerksamkeit von Kindern auf ökologische und biologische Zusammenhänge zu steigern. (Ganea et al. 2011)
Quellen und weiterführende Informationen
Heyer, M. (2018). Von Menschenkindern und Honigbienen. Multispecies-Perspektiven auf Begegnungen am Bienenstand. Würzburg: Universität Würzburg.
Wanning, B. (2016). Posthuman von Anfang an? Wie Tiergeschichten für Kinder das anthropozentrische Weltbild prägen. https://web.fu-berlin.de/phin/beiheft10/b10t07.pdf. (13.07.2024)
Ganea, P. A., Canfield, C. F., Simons-Ghafari, K., Chou, T. (2014). Do cavies talk? The effect of anthropomorphic picture books on children’s knowledge about animals. Frontiers in Psychology 5/283, 1-9.
Mills, C. (2014): Ethics and children’s literature. Farnham, Surrey, England, Burlington, VT, London: Ashgate Publishing Limited; Routledge.
Ganea, P. A., Ma, L., Deloache, J. S. (2011): Young children’s learning and transfer of biological information from picture books to real animals. Child Development 82/5, 1421–1433.
Epley, N., Waytz, A., Cacioppo, J. T. (2007): On seeing human: a three-factor theory of anthropomorphism. https://psycnet.apa.org/record/2007-13558-002 (13.07.2024)
Aesop (o.D.): Fabeln. URL: https://www.projekt-gutenberg.org/aesop/fabeln/index.html (13.07.2024)